Welche Geschlechterrollen vermitteln Musikvideos? – 5 Fragen an „so geht MEDIEN“

Interview

Musikvideos zeigen Männer und Frauen oft als Stereotype. Kinder und Jugendliche können sich an den problematischen Darstellungen orientieren und so klischeehafte Ideale von Weiblichkeit und Männlichkeit entwickeln. Wie können Eltern darauf reagieren? SCHAU HIN! hat dazu fünf Fragen an Dr. Maya Götz von „so geht MEDIEN“ gestellt. Früher hat sie selbst zu David Bowie und Prince getanzt. Den Eltern von heute rät sie davon ab, bestimmte Musikvideos oder KünstlerInnen zu verbieten. Sinnvoller sei der Dialog über problematische Texte und Inszenierungen.

Grafik zur Interviewreihe „5 Fragen – 5 Antworten“ mit „so geht MEDIEN“
Logo: BR; Gestaltung: SCHAU HIN!

Inwiefern werden Jugendliche und Kinder von Musikvideos beeinflusst?

Wenn Jugendliche mit dem Smartphone im Netz unterwegs sind, gucken sie besonders gerne Musikvideos. Acht von zehn Jugendlichen schauen Musikvideos täglich oder zumindest mehrmals in der Woche an. Dabei entwickeln sie u.a. Ideale davon, was es heißt, als Mann oder Frau erfolgreich zu sein. Wer regelmäßig Mainstream-Musikvideos ansieht, hat oft auch feste Stereotype davon verinnerlicht, dass Männer vor allem stark sein müssen und Frauen schön, dünn und sexy.

Welche Darstellung von Geschlechterrollen sehen wir hauptsächlich in Musikvideos?

Musikvideos zeigen sehr vereinfachte Geschlechterbilder, besonders bei Frauen. Sie sind vor allem sexy dargestellt und bieten sich und ihren Körper an. Männer hingegen sind oft cool und aggressiv, insbesondere im Hip-Hop- und Rap-Bereich, während Popsänger sich gerne auch als idealen Liebhaber inszenieren oder zeigen, wie sie an der Welt oder ihrem Schicksal leiden.

Wird ein deutlicher Unterschied von Männern und Frauen inszeniert?

Wenn wir uns Musikvideos genau ansehen und vergleichen, stellen wir fest, dass Männer und Frauen ganz unterschiedlich gezeigt werden. In jedem zweiten Video werden die Köpfe von Frauen durch die Kameraführung abgeschnitten, der Fokus liegt auf ihren Körpern. In jedem dritten Video ist ein Close-up auf die Brust zu sehen, in jedem vierten steht das Gesäß im Fokus, so als sei das Entscheidende ihr Körperbau. Bei Männern passiert dies sehr selten. In jedem dritten Musikvideo räkelt sich die Frau erotisch-lasziv und berührt sich in sexueller Weise. Von Männern sind solche Szenen fast nie zu sehen.

Was für eine Rolle spielen Songtexte in den Musikvideos?

Für Jugendliche drücken die Songs oftmals etwas aus, das sie so noch nicht in Worte fassen können. Sie greifen ihr Lebensgefühl auf, bewegen sie emotional und körperlich. Viel macht da natürlich die Gesamtkomposition aus. Der Text gibt dem Gefühl des Songs Worte, sofern die jungen Hörer*innen ihn verstehen. Extreme Worte und Formulierungen voller Hass oder Sexualisierung können so durch Songtexte Eingang in den aktiven Sprachgebrauch finden. Umso wertvoller sind hier die Ausnahmen von Künstler*innen, die durch ihre poetischen Texte eine tiefere Erkenntnis der Welt ermöglichen – oder die diversen Parodien von Influencer*innen, die mit viel Humor so manche Klischees auf den Punkt bringen.

Worauf sollten Erziehende beim Konsum von Musikvideos der Kinder und Jugendlichen achten?

Da der Videokonsum nahezu komplett über das Handy abläuft, ist es im Normalfall weder Erfolg versprechend noch pädagogisch sinnvoll, hier kontrollierend eingreifen zu wollen. Das hat auch schon zu Zeiten von Elvis Presley und den Beatles nicht geklappt. Sinnvoller ist es, sich die Welt der Musikvideos erklären zu lassen. Wer ist wer? Warum wird gerade diese Musik so gerne gehört? Welche Trends zeigen sich bei Ihrem Kind und bei dessen Freund*innen? Versuchen Sie, die Faszination aus der Perspektive der*des Jugendlichen zu verstehen – aber ohne dabei unkritisch zu werden. Sprechen Sie das Aussehen, die Inszenierung und die hochgradige Sexualisierung von Frauen an! Hier eröffnet sich ein guter Gesprächsanlass über das, was wirklich im Leben wichtig ist. Und seien Sie nicht frustriert, wenn die Jugendlichen Ihnen erklären, dass dies normal ist, denn „sex sells“ nun mal. Sie bieten den Jugendlichen eine wichtige andere Perspektive und entlasten damit auch Ihre Tochter oder Ihren Sohn davon, auch so sexy und dünn bzw. stark sein zu müssen. Denn jedes Kind ist wertvoll – so wie es ist.

so geht MEDIEN“ ist eine gemeinsame Initiative von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Das Angebot fördert die Medienkompetenz von Jugendlichen zwischen zwölf und 16 Jahren mit Videos und Texten für den Unterricht oder zu Hause. Die Initiative stellt Informationen zu verschiedenen Medienthemen bereit, wie Influencer, Nachrichten und Fake News oder Extremismus im Internet. Dr. Maya Götz ist pädagogische Fachberaterin von „so geht MEDIEN“ und Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI).