Scripted Reality – Alles echt, oder?

Die Geschichten scheinen wie aus dem Alltag gegriffen und wirken deshalb sehr vertraut: Nach den Gerichtsshows erleben nun Detektivgeschichten, fiktive Polizeireports und Dokusoaps ihren Boom. SCHAU HIN! rät Eltern, ihre Kinder möglichst früh über deren Fiktionalität aufzuklären.

Eine junge Frau isst lachend Popcorn und hält eine Fernbedienung in der Hand
Jeshoots Com/Unsplash

Fernsehformate, die eine inszenierte Wirklichkeit abbilden, sollen den ZuschauerInnen das Gefühl geben, „live“ an einem realen Geschehen teilzuhaben. Gerade Jüngeren ist aber nicht bewusst, dass es sich um inszenierte Szenen auf Grundlage eines Drehbuchs handelt und die vermeintlich authentischen Figuren Laienschauspieler sind. Prinzip ist, Auseinandersetzungen immer wieder auf die Spitze zu treiben.

Inszenierte Authentizität: Keine neue Erfindung

Diese Idee ist nicht neu: Seit den späten 1990er Jahren zogen zunächst Talkshows wie „Arabella“, „Andreas Türck“ oder „Vera am Mittag“ ihre überwiegend jungen ZuschauerInnen in den Bann: Meist trugen authentisch wirkende Gäste ihre persönlichen Konflikte und Differenzen lautstark vor einem Saalpublikum aus. Was viele ZuschauerInnen nicht wussten: Die meisten „Gäste“ waren entweder LaienschauspielerInnen, oder die „Auseinandersetzungen“ folgten einem Drehbuch.

Wenig später warten es Gerichtsshows, die sich in ihren „Verhandlungen“ nach einem festen Handlungsstrang richteten: Anfangs stellten „Richterin Barbara Salesch“, „Das Jugendgericht“ oder „Familien-Fälle“ echte Verhandlungen nach – meist inszenierten sie jedoch fiktive und oft unrealistische Auseinandersetzungen vor Gericht. Das Gerechtigkeitsempfinden ihrer ZuschauerInnen sorgte zeitweise für Rekordquoten im Nachmittagsprogramm.

Als nächster Trend erleben nun fiktive Detektivgeschichten, diverse „Blaulicht-Reports“ und verschiedene Doku-Soaps ihren Boom. Als „Scripted Reality“ folgen auch sie einem Drehbuch und geben sich durch Handlung und Figuren möglichst wirklichkeitsnah. Emotionen wie Neid und Missgunst dominieren die „Handlung“, und es werden fragwürdige Vorbilder und Klischees von Sexualität, Partnerschaft und dem Lösen von Konflikten vermittelt. Einige Darsteller spielen in Sozialen Netzwerken ihre Rolle weiter und kommentieren dort tägliche Vorkommnisse – dies erhöht ihre Glaubwürdigkeit bei den jungen ZuschauerInnen.

Das Scripted-Reality-Format

Scripted Reality (engl. „script“ = Drehbuch und „reality“ = Wirklichkeit) beschreibt die Inszenierung fiktiver Alltagsgeschichten mit LaienschauspielerInnen in einem dokumentarischen Stil. Serien wie „Berlin – Tag und Nacht“ oder „Köln 50667“ (beide RTL II). Aber auch „Die Trovatos – Detektive decken auf“ (RTL) und „Auf Streife“ (Sat. 1) vermitteln das Gefühl, unmittelbar im realen Geschehen dabei zu sein. Das Prinzip der Formate ist, Konflikte auf die Spitze zu treiben und durch große Emotionen der Figuren solche auch bei den ZuschauerInnen zu wecken. Aktuell sind im deutschen Programm etwa 26 Formate dem Scripted-Reality-Genre zuzurechnen.

Die Faszination

Die Serien sind speziell auf das junge Publikum ausgerichtet. Sie sprechen einerseits Themen an, die für Jugendliche besonders relevant sind (Freundschaften, partnerschaftliche Beziehungen), andererseits greifen sie den Geschmack der Zielgruppe in ihrer Machart auf (Unterlegung mit aktueller Musik, junge DarstellerInnen), und sie werden zu einer Uhrzeit gesendet, zu der das junge Publikum verfügbar ist (Vorabend). In Soaps wird also genau das inszeniert, was junge RezipientInnen interessiert: Probleme und Konflikte werden thematisiert, besprochen und variiert. Noch dazu werden die SR-Formate als besonders authentisch erlebt und können deshalb vielleicht noch besser zur Bedürfnisbefriedigung beitragen als die eher steril-artifiziellen Daily-Soaps.

Fiktion erkennen

Ab etwa zwölf Jahren können Kinder Scripted Reality von der tatsächlichen Wirklichkeit unterscheiden, etwa von Reportagen, Journalen oder Nachrichten. SCHAU HIN! rät, solche Formate vorher entweder ganz zu meiden oder gemeinsam mit den Kindern anzuschauen und ihnen dabei deutlich zu machen: Das ist nicht echt. Ungeachtet des Alters ist es wichtig, dass sie diese Sendungen zumindest anfangs gemeinsam schauen und dabei über den Unterschied von Realität und Fiktion sprechen und auch über die Menschenbilder diskutieren, die dort gezeigt werden.