Urteil zu Werbekennzeichnung: Social-Media-Werbung wird weiterhin nicht einheitlich gekennzeichnet

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InfluencerInnen empfehlen in den sozialen Medien gerne, was ihnen gefällt. Laut einem Gerichtsurteil von Anfang September dürfen sie das auch weiterhin – wenn es nicht zu werblich wird. Für Kinder und Jugendliche ist es jedoch wichtig, Werbung zuverlässig erkennen zu können. SCHAU HIN! berichtet, wie es derzeit um Werbeformen in den Beiträgen von InfluencerInnen steht und welche Wirkung sie auf Kinder haben können.

Ein Frauenoberkörper in bestickter Bluse, daneben eine schicke Tasche und Sonnenbrille auf einer Mauer
tamarabellis/Unsplash

Auch bei Kindern und Jugendlichen sind reichweitenstarke Kanäle von InfluencerInnen beliebt. Somit sind auch ihre Werbebotschaften fester Bestandteil der Online-Welt von jungen NutzerInnen – die allerdings nicht immer als solche zu erkennen sind. Ob Produktbeiträge von Social-Media-Stars immer als Werbung gekennzeichnet werden müssen, hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 09. September 2021 entschieden. Demnach dürfen InfluencerInnen im Internet bei Fotos und Videos mit Produkten auf die jeweiligen Firmen verweisen, ohne einen Hinweis auf Werbung einzubinden – allerdings nur, wenn sie keine Gegenleistung erhalten haben und es nicht zu werblich wird.

Gerichtsentscheidung über Werbekennzeichnung

Ob Posts und Stories als „Anzeige“ ausgewiesen müssen, hängt derzeit von vielen Faktoren ab. Der BGH stellt in seinem Urteil fest: InfluencerInnen, die Geld oder eine andere Gegenleistung wie Reisen oder Gratisprodukte für ein Posting erhalten haben, müssen dieses als Werbung oder Anzeige kennzeichnen. Ausnahmen kann es geben, wenn InfluencerInnen sich Produkte selbst gekauft haben. Die Unternehmensseite darf dann sogar über eine Erwähnung mit „@“ oder über den Name-Tag im Bild verlinkt werden. Wenn NutzerInnen jedoch über eine Swipe-Up-Funktion auf die Firmenhomepage geleitet werden, muss ein Werbehinweis erfolgen – in dem Fall würde laut BGH das Produkt oder Unternehmen „übertrieben beworben“, auch wenn es selbst bezahlt wurde.

Eine weniger komplexe Rechtslage stellt – unabhängig von der aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs – ein bereits verabschiedetes Gesetz für 2022 in Aussicht, das den Sachverhalt neu regelt. Und darin steht ganz klar: Es muss nur etwas als Werbung gekennzeichnet werden, wofür InfluencerInnen Geld oder eine geldwerte Gegenleistung bekommen haben. Eine Grauzone ist jedoch auch dabei denkbar und kann für Unsicherheit sorgen: Wie sind die Regelungen, wenn InfluencerInnen das Produkt zunächst unentgeltlich auf ihrem Kanal fokussieren und erst im Nachhinein von einem Unternehmen dafür Geld bekommen, sodass eine Kennzeichnung nicht mehr ergänzt werden kann?

Bedenkliche Werbeformen

InfluencerInnenbeiträge, die Produkte fokussieren, können problematisch sein. Auch wenn nicht alle rechtlich gesehen unter die Kennzeichnungspflicht von Werbung fallen, können sie für junge RezipientInnen nichtsdestotrotz Besitzwünsche schaffen und so Kaufappelle darstellen. InfluencerInnen sprechen neben direkten („Rabatt sofort sichern!“) auch sehr oft indirekte Kaufempfehlungen an Kinder aus - so wird zum Beispiel suggestiv über Produkte kommuniziert.

In einer Untersuchung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), die im August 2021 erschienen ist, konnten 43 unterschiedliche Arten von Produktwerbung in InfluencerInnenbeiträgen identifiziert werden. Diese Vielzahl ist eine Herausforderung für Eltern und Kinder – und fordert umso mehr Werbekompetenz.

Zu den sogenannten „präsentationsorientierte Werbeformen“ zählen unter anderem Unboxing-Videos, in denen Social-Media-Stars ein zugesendetes Geschenk einer Firma entpacken und präsentieren, Roomtouren, bei denen Produkte zu sehen sind, oder Hacks, bei denen Produkte als coole oder praktische Lebensbereicherung vorgestellt werden. „Interaktionsfokussierte Formen“ zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass ein Interaktionsprozess mit der Community in Gang gesetzt wird, in die Kaufappelle eingebettet sind: Gewinnspiele, Challenges, Abstimmungen.

Als besonders bedenklich sind in der KJM-Studie Werbeformen aufgefallen, die Kinder zu Kaufhandlungen verleiten, damit sie Zutritt zu bestimmten Communities bekommen. Zum Beispiel versprechen manche Internet-Stars Einladung für einen geheimen Chat – allerdings nur durch Kauf von (Merchandise-)Produkten. Auch zeitlich limitierte Angebote, Gewinnspiele oder Rabattcodes, die Kinder unter Druck setzen, sind problematisch.

Probleme bei fehlender Kennzeichnung

Im aktuellen BGH-Urteil zur Werbekennzeichnung ging es um Beiträge auf Instagram. Aber auch zwischen den verschiedenen Social-Media-Plattformen zeigen sich bei den Formen von Werbekennzeichnung deutliche Unterschiede. Das erschwert es vielen Kindern und Jugendlichen, Werbung als solche zu erkennen und zu hinterfragen. Die KJM-Studie stellt besonders die Kennzeichnungsstandards auf TikTok und Twitch als negativ heraus. Während auf Instagram und YouTube vergleichsweise viele InfluencerInnen ihre Werbebotschaften kenntlich machen, ist diese Quote auf TikTok und Twitch deutlich geringer. Und auch die Form der Werbekennzeichnung unterscheidet sich von Plattform zu Plattform, sodass eine übergreifende Orientierung erschwert wird. Vor allem die Sichtbarkeit, Größe, Auffälligkeit, Positionierung sind uneinheitlich.

Die KJM kritisiert zudem, dass bei InfluencerInnen nicht zu erkennen ist, an welche Altersgruppen sich ihre Beiträge richten oder ob die Inhalte für Kinder geeignet sind. Denn wenn sich InfluencerInnenwerbung gezielt auch an Kinder richtet, sind die Vorgaben des § 6 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags einzuhalten. Danach sind insbesondere direkte Kaufappelle, die die Leichtgläubigkeit und Unerfahrenheit von Heranwachsenden ausnutzen, untersagt.

Unterschiedliche Werbekompetenz bei Heranwachsenden

Die KJM-Studie zeigt, dass sich Kinder in ihren Entwicklungsstadien bezüglich ihrer Werbekompetenz teils deutlich voneinander unterscheiden. Häufig ist dafür der Zeitpunkt entscheidend, an dem sie ihr erstes Smartphone bekommen. So stellen die WissenschaftlerInnen heraus, dass Kinder besonders geschützt werden müssen, die im Alter zwischen sieben und neun Jahren ein Smartphone bekommen und damit abseits der elterlichen Kontrolle ihre ersten Erfahrungen sammeln, sowie starke Fans von InfluencerInnen-Kommunikation, die einer oder mehreren Communities angehören. Ihnen fehlt in vielen Fällen Verständnis für den Grund der Zusammenarbeit zwischen InfluencerInnen und Unternehmen. Kinder, die im Rahmen der Studie befragt wurden, gaben an, dass Social-Media-Stars ihrer Einschätzung nach mit den Produktbeiträgen ihre FollowerInnen primär unterhalten wollen, andere an ihrem Leben teilhaben lassen ihre ehrlichen Meinungen teilen möchten. Am besten klären Eltern daher schon früh über Motive von InfluencerInnen auf, thematisieren Werbetaktiken und was hinter Produktempfehlungen steckt.