Vorsicht bei fragwürdigen Psychologie-Apps!

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Die Corona-Pandemie stellt für viele eine Ausnahmesituation dar, auch für Kinder und Jugendliche. Manchen macht die Krise psychisch sehr zu schaffen. Heranwachsende versuchen, Beistand und Ermunterung im Internet zu finden. Doch Onlineangebote können schnell gefährlich werden. Eine Reportage von „funk“, einem gemeinsamen Angebot von ARD und ZDF, berichtet über die Risiken von vermeintlich hilfreichen Psychologie-Apps.

Ein Jugendlicher sitzt auf einer Wiese und reibt seine Hände über sein Gesicht
Francisco Gonzales

Im Jahr 2017 gab es bereits 1.300 deutschsprachige Gesundheits-Apps im Google Play Store mit je über 50.000 Downloads. Darunter finden sich auch zahlreiche Psychologie-Apps. Die Anwendungen sollen angeblich zur Vorbeugung oder Behandlung psychischer Krankheiten genutzt werden können. Sie werben damit, wissenschaftlich fundiert und professionell zu sein. Bei den meisten wurde jedoch die Wirksamkeit nie in einer Studie überprüft.

Die Reportage „Trigger statt Therapie“ des Jugendformats „funk“ zeigt auf, dass solche Apps nicht nur keinen Mehrwert für das Wohlergehen von Heranwachsenden haben, sondern sogar richtig gefährlich sein können. Bei nicht-geprüften Apps ist das Risiko groß, dass die NutzerInnen der App keine Hilfe bekommen und es ihnen durch die Nutzung noch schlechter geht als vorher.

Apps können keine Diagnosen stellen

Heranwachsende, die sich nicht trauen, ihre Probleme jemandem mitzuteilen, erhoffen sich durch Diagnose-Apps eine Auskunft. NutzerInnen können in der Anwendung einen Fragebogen ausfüllen, der ihnen mehr über ihre psychischen Leiden verraten soll. Diese Tests sind in den meisten Fällen nur oberflächlich und nicht von ExpertInnen entwickelt. In der Reportage stellt die Journalistin Lisa Altmeier eine vor: Die App „Depression Test“ zeigt einen animierten Arzt, der den NutzerInnen Suggestivfragen stellt, die schon darauf abzielen, einen negativen Befund zu ergeben. Doch nur ein echter Arzt oder eine echte Ärztin ist in der Lage, psychische Krankheiten korrekt zu diagnostizieren. Wenn Kinder und Jugendliche die vermeintliche Diagnose lesen, werden sie mit dieser negativen Information allein gelassen und erhalten nicht die erhoffte Hilfe oder Unterstützung, was sie noch mehr verunsichern oder belasten kann.

Auch sogenannte Suizid-Präventions-Apps sind risikoreich. Studien warnen sogar vor solchen Anwendungen, weil sie keine ausreichenden Strategien bieten können, um Hilfesuchende in einem solchen Notzustand zu unterstützen.

Die Gefahr von Chats der Psychologie-Apps

Besonders gefährlich zeigten sich in der Reportage chat-basierte Hilfsanwendungen wie die App „Online Therapie“. Diese verspicht in einem anonymen Chat echte psychologische Hilfe mit ExpertInnen. In der Anwendung stellen Betroffene Anfragen, die für alle NutzerInnen öffentlich sichtbar sind. Jegliche Postings bleiben jedoch unmoderiert. Auch ohne therapeutische Ausbildung oder Berufserfahrung kann jede/r aus der Community unter die Beiträge kommentieren. Top-NutzerInnen sind diejenigen, die angeblich die hilfreichsten Informationen geben. In den Recherchen der Reporterin Lisa Altmeier stellte sich heraus, dass diese oft selbst erst 13 oder 14 Jahre alt sind, so wie ein Großteil der Hilfesuchenden auf dieser App. Oft zeigen die Top-NutzerInnen auch selbst Symptome psychischer Probleme oder haben Suizidabsichten. Auf der Plattform fanden sich auch Fotos von Selbstverletzungen und Gewaltfantasien. Wenn Kinder und Jugendliche, denen es nicht gut geht, auf solche Inhalte treffen, besteht die Gefahr, dass sie selbst noch tiefer in eine Krise gestürzt werden. Sie können in der Community sogar zu selbstverletzendem Verhalten ermuntert werden.

Die Reporterin stieß ebenfalls auf Fälle von Cybergrooming in der Anwendung, bei denen der verletzliche Zustand der Kinder ausgenutzt wurde, um nach Nacktbildern zu fragen.

Ebenfalls kritisch ist bei solchen Anwendungen der Datenschutz. Neben sehr vielen persönlichen Informationen über das Gefühlsleben gaben Jugendliche auf der Plattform auch private Adressen oder Telefonnummern preis. Damit machen sie sich besonders verletzlich, da sie sich in diesem vermeintlich anonymen Chat identifizierbar machen.

Die vorgestellte App „Online Therapie“ verstößt zwar beispielsweise durch die Gewaltdarstellungen gegen die Richtlinien des Google-Play Stores, doch trotzdem sind viele solcher fragwürdigen Psychologie-Apps weiterhin zugänglich. Selbst, wenn solche Apps kurzzeitig aus dem Appstore entfernt werden, werden sie von den BetreiberInnen häufig augenscheinlich abgeändert und wieder online gestellt.

Hilfe bei psychischen Problemen

Die Psychologin Pia Kabitzsch beschäftigt sich mit Studien über Psychologie-Apps und wird in der Dokumentation dazu interviewt. Sie verweist darauf, dass nicht alle psychologischen Online-Angebote gefährlich sind. Derzeit bieten viele TherapeutInnen auch Online-Sprechstunden über zertifizierte Anbieter an. Ebenso gibt es verschreibungspflichtige, geprüfte Apps, die ergänzend zur psychologischen Behandlung eingesetzt werden. Doch auch die Psychologin warnt vor den offen zugänglichen Psychologie-Apps. Es ist auf jeden Fall wichtig, sich intensiv zu informieren und nur professionellen Angeboten zu vertrauen. Eltern können mit ihren Kindern über die Gefahren von vermeintlichen Gesundheits-Apps und über Alternativen sprechen.

Unterstützung und Beratung können Jugendliche oder Eltern beispielsweise auch anonym bei der Nummer gegen Kummer erhalten (116 111). Ebenso ist die TelefonSeelsorge rund um die Uhr erreichbar (0800 1110111). Heranwachsende finden bei JUUUPORT Hilfe bei Online-Konflikten.

Wenn problematische Entwicklungen frühzeitig von den Eltern erkannt werden, kann entgegengewirkt werden, dass Kinder und Jugendliche psychische Probleme entwickeln oder dass diese sich noch verstärken. Wenn Heranwachsende Anzeichen einer Krise zeigen, sind fachkundige Unterstützung und einfühlsame Hilfe jedoch der beste Weg.