„Wir haben klar gemacht: Dein eigenes Gefühl zählt.“ – 5 Fragen zu Medienerziehung

Interview

Über aktuelle Trends Bescheid wissen, Fallstricke erkennen und für alles das „richtige“ Maß für die eigenen Kinder finden – Heranwachsende im Umgang mit Medien zu stärken und dabei vor möglichen Risiken zu schützen, kann für Eltern zur Herausforderung werden. Wie all das im Alltag auf Augenhöhe mit den Kindern gelingt, beschreibt Patricia Cammarata in ihrem neuen Buch „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!“. Wir haben der Autorin, Bloggerin und Podcasterin 5 Fragen zu ihrem Buch und ihren eigenen Erfahrungen gestellt.

Grafik mit Portrait von Patricia Cammarata, Bloggerin, Podcasterin und Autorin von "Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!"
Foto: Marcus Richter/Grafik: SCHAU HIN!

Wieso heißt Ihr Buch „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!“ und warum haben Sie es geschrieben?

Es heißt so, weil dieser Satz eine geflügelte Formulierung ist, wenn es um kindlichen Medienkonsum geht. Die meisten Ratgeberseiten empfehlen dreißig Minuten am Tag und das übernehmen Eltern relativ unreflektiert, weil die Sehnsucht nach einer einfach umzusetzenden Regel in Sachen Kinder und digitale Medien so groß ist.

Geschrieben habe ich das Buch weil es viel Literatur gibt, die Eltern vor den Gefahren des Internets und der digitalen Medien warnt und so gut wie keine, die Eltern erklärt wie man mit den Gefahren des Internets praktisch umgeht, wie man sie besser noch: vermeidet und genauso wenig, was die tollen Seiten des Internets sind, die es so attraktiv für Kinder und Jugendliche machen.

Bei Ihnen scheint Medienerziehung ein eher unproblematisches Thema zu sein. Stimmt das und wenn ja, woran liegt das? 

Im Großen und Ganzen ist es bei uns wirklich unproblematisch. Natürlich diskutieren wir auch, aber weil wir Erwachsenen differenzieren, halten sich die Kinder an unsere Regeln und wir Eltern sind relativ entspannt, weil wir a) wissen, was die Kinder mit digitalen Medien machen und b) weil die Kinder so aufgeklärt und kompetent sind, dass sie selbst mit auftretenden Herausforderungen umgehen können oder uns zur Hilfe holen.

Wir haben von klein auf mit den Kindern über die verschiedenen Angebote, deren Chancen und Grenzen gesprochen und uns gemeinsam mit den Kindern fortgebildet. Plus: Wir nehmen die Bedürfnisse der Kinder ernst und tun ihre Leidenschaften nicht als „hohl“ und „doof“ ab.

Sie schreiben, dass Vertrauen sehr wichtig bei der Medienerziehung ist, warum? Und wie kann Vertrauen aufgebaut werden?

Oberstes Ziel war es, dass die Kinder sich selbst regulieren können und kompetent reagieren, wenn es zu Problemen kommt. Als die Kinder klein waren, haben wir z.B. darüber geredet, dass es altersgemäße Angebote gibt und Angebote, die Angst machen können oder verstören und wir haben klar gestellt: Dein eigenes Gefühl zählt. Wenn Du also etwas gruselig findest, dann machst du selbst aus. Dafür muss man dann besprechen, wie man ein Gerät abschalten kann oder ob man es einfach schnell auf das Display legt.

Wenn das Kind sich gewappnet fühlt, vertrauen wir, dass es das besprochene Verhalten an den Tag legt und tatsächlich: unsere Kinder haben von klein auf Dinge gesagt wie: „Ich weiß, dass das für Kinder ist, aber ich mag nicht so gerne Sachen, die mit Menschen gespielt werden, sondern lieber Zeichentrick.“ und dann haben sie abgelehnt. Sie kennen auch USK und FSK Empfehlungen und wenn die höher ist als ihr Alter, wollen die Kinder die Sachen meist nicht sehen. Nicht mal wenn wir einen bestimmten Film z.B. als Familie sehen und die Erwachsenen dabei sind. Sie sagen dann: „Das können wir in zwei Jahren auch noch machen.“

So ist es mit vielen Themen. Wir vertrauen und dass unsere Kinder sich oft an uns wenden und auch gerne Inhalte mit uns teilen, stärkt dieses Vertrauen. Es ist also ein Wechselspiel von Besprechen und Vertrauen schenken. Wenn die Kinder sich dann adäquat verhalten und z.B. berichten, dass sie selbst etwas abgeschaltet haben, dann sind sie (zu recht!) stolz auf sich. Das wiederum verstärkt dieses Verhalten.

Wie sehen Sie Medienentzug als Strafe?

Davon halte ich zu 99 Prozent gar nichts. Zum einen weil die Nutzung digitaler Medien nichts ist, was irgendwie herausstellenswert ist. Es ist eine von vielen Möglichkeiten Freizeit zu gestalten. Ich strafe auch nicht mit Lese- oder Legoverbot. Zum anderen hängen an den digitalen Medien in den meisten Fällen soziale Interaktionen. Medienentzug ist somit eine Art moderner Hausarrest, eine Isolation von den Freundinnen und Freunden. Das finde ich eine ziemlich drakonische Maßnahme.

Das letzte eine Prozent würde ich sehen als eine der letzten Maßnahmen, wenn mein Kind z.B. TäterIn von Cybermobbing geworden wäre. Dann ist das vielleicht eine erste Not-Maßnahme um ein Opfer zu schützen, die aber von vielen anderen Maßnahmen und v.a. Gesprächen begleitet werden muss.

Wie ist Ihr kulturoptimistischer Blick auf die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen?

Wir sehen es gerade in Zeiten von Corona: Das Internet ist das Tor zur Welt. Es ist die Verbindung zu den Freundinnen und Freunden, zu den Großeltern und zu den Schulkameradinnen und -kameraden. Das Internet ist eine nicht versiegende Quelle von Wissen, ein unendlicher Quell an Spaß und Kreativität. Wir müssen einfach nur lernen und vermitteln, wie wir richtig und verantwortungsvoll damit umgehen.

Patricia Cammarata ist Bloggerin, Podcasterin und Autorin. Die Blog-Reihe „Let's talk“ ist in Zusammenarbeit mit SCHAU HIN! entstanden, auch ihr Podcast „#nur30min“ wird von SCHAU HIN! unterstützt. Gemeinsam haben wir mit verschiedenen Formaten an der re:publica teilgenommen. Mehr Informationen zu ihrem neuen Buch „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss“ gibt es hier.