Körperunzufriedenheit durch Medien? – 5 Fragen an Dr. Natalie Baumgartner-Hirscher
InterviewKinder spielen Umstyling-Spiele aus dem App-Store, im Fernsehen laufen Castingshows mit unrealistischen Beauty-Standards und in den sozialen Netzwerken werden Jugendliche mit bearbeiteten, makellosen Selfies konfrontiert. Wie beeinflusst das die Wahrnehmung des eigenen Körpers bei Kindern und Jugendlichen? Führt eine hohe Mediennutzung zu Unzufriedenheit? Und wie können Eltern ihren Kindern zu einem besseren Körpergefühl verhelfen? Dazu haben wir Dr. Natalie Baumgartner-Hirscher befragt, die an der School of Education der Universität Salzburg in den Bereichen Biologiedidaktik und Bildungswissenschaften lehrt.
Inwiefern ist Körperunzufriedenheit bereits im Kindesalter verbreitet?
Aktuelle Studien zeigen, dass im Jugendalter die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper abnimmt, tendenziell bei Mädchen mehr als bei Jungen. Es stellt sich hier die Frage, in welchem Alter die ersten Beeinflussungen stattfinden und womit diese zusammenhängen. Neben persönlichen und familiären Faktoren wird auch ein Zusammenhang mit dem individuellen Medienkonsum diskutiert. Die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper und das damit verbundene Selbstwertgefühl können mitunter einen Faktor in der Entwicklung von Essstörungen darstellen. Mehr als 20 Prozent der Jugendlichen weisen Merkmale bzw. Symptome von Essstörungen auf.
In sozialen Netzwerken gibt es immer wieder besorgniserregende Körpertrends, die zum Beispiel Essstörungen glorifizieren. Wie erklären Sie sich die Faszination solcher Trends bei Kindern und Jugendlichen?
Sogenannte „Pro-Ana“ und „Pro-Mia“-Seiten gibt es schon länger. Hier werden Essstörungen, wie Anorexie und Bulimie, „verherrlicht“, die Community tauscht Tipps und Tricks aus und unterstützt Mitglieder beim weiteren Abnehmen. Auch hier gibt es viele unterschiedliche Sub-Strömungen. Einige Foren bieten ihren Mitgliedern auch essstörungsfreundliche „Hilfestellungen“ bei dem Erreichen des vermeintlichen Wunschgewichts und Ratschläge, wie man damit verbundene Probleme bewältigen könne, an. Generell ist zu beobachten, dass die Themen anfänglich auf Websites und Blogs kommuniziert wurden. Heute passiert über Social Media ein interaktiver und somit noch intensiverer Austausch. Mitglieder können durch ihr Smartphone jederzeit die Inhalte abrufen und sich beteiligen. Partizipationsmotivationen können unterschiedlich sein, häufig wird aber von Betroffenen das „Angenommensein“ und das „gegenseitige Verständnis“ genannt. Dies sind sicherlich gefährliche Entwicklungen.
Sind die Auswirkungen von medial vermittelten Schönheitsidealen auf Kinder und Jugendliche größer als auf Erwachsene?
Zu den Effekten von medial vermittelten Schönheitsidealen gibt es sehr ambivalente Forschungsergebnisse. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass es einen Zusammenhang zwischen Körperunzufriedenheit und hohem Medienkonsum gibt. Kinder bzw. Jugendliche sind insbesondere in der sensiblen Phase der Pubertät auf der Suche nach sich selbst. Neben den vielen Entwicklungsaufgaben, denen sie sich stellen müssen, sind sie auch empfänglicher für Vergleiche mit Medienpersönlichkeiten. Hier können aber nicht nur Social-Media-Plattformen ein Thema sein, sondern durchaus auch Internetpornographie.
„Wir werden 2000 bis 5000 Mal pro Woche mit Bildern digital manipulierter Körper konfrontiert“ sagt die britische Journalistin Susie Orbach. Wie schätzen sie die Rolle von Filtern und Nachbearbeitungen für das Körperbild von Kindern und Jugendlichen ein?
Meiner Erfahrung nach reagieren Kinder teils sehr sensibel auf bearbeitete Bilder und sind an der Funktionsweise der Filter durchaus interessiert, soweit sie sich überhaupt darüber im Klaren sind, dass es sich um solche handelt. Das geht aus Gesprächen im Unterricht hervor.
Diese Flut an Bildern, von denen Susie Orbach spricht, geht jedoch ohne jegliche zusätzliche Information zu möglichen Manipulationen auf uns und unsere Kinder nieder. Sobald Jugendliche aktiv ein Smartphone nutzen und sich auch auf Social-Media-Plattformen bewegen, steigt auch das Interesse, eigenen Content zu produzieren und zu posten. So wird durch die eigene Nutzung derartiger Programme auch klarer, wie einfach es ist, Bilder zu bearbeiten.
Dennoch nehmen wir ja auch unbewusst Reize wahr. Vor Social Media war das nicht anders, nur gab es ein wesentlich geringeres Angebot an Körperbildern, z.B. im Fernsehen oder in Printmedien. Heute wird insbesondere auf Medien wie Instagram, Facebook oder TikTok der Eindruck vermittelt, man folge dem Mädchen oder Jungen „von nebenan“. Denn diese Plattformen werden als besonders unmittelbar und authentisch erlebt. Diese vermeintliche Nähe kann Nachahmungswünsche in Hinblick auf Medienpersönlichkeiten verstärken. Ganz nach dem Prinzip: Je leichter ich denke, dass etwas erreichbar ist, desto eher werde ich mich darum bemühen und diesem Ideal nacheifern.
In letzter Zeit sprechen sich viele Personen der Öffentlichkeit gegen die „Body Positivity“-Bewegung aus, da sie ebenfalls das Aussehen in den Vordergrund stellt. Ist „Body Neutrality“ eine gute Alternative, um mit Körperbildern auf Social Media umzugehen?
Die „Body-Positivity“- Bewegung steht ja dafür, sich gegen Vergleiche und Perfektionismus zu positionieren. Die Kritik ist hier, dass auch das Posten unter derartigen Hashtags wieder den Körper in den Vordergrund stellt. Wünschenswert wäre natürlich der Ansatz, dem Körper nicht diese Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und die diesbezügliche Heterogenität einfach anzunehmen und als positiv anzusehen.
Ich denke, das Wichtige in diesem Kontext ist, mit Kindern und Jugendlichen das Thema aufzugreifen – ob als Lehrperson oder Elternteil – und einfach darüber zu sprechen. Gemeinsam müssen wir Formate und Plattformen, die derartige Ideale transportieren, kritisch reflektieren. Auch Nutzungsverbote – abgesehen vom gesetzlichen Mindestalter, welches ich durchaus als sinnvoll erachte – sind hier nicht der richtige Weg. Die Kinder und Jugendlichen müssen sich von uns ernstgenommen fühlen. Es geht nur mit Primärprävention, mit Aufklärung und einer Stärkung des Selbstbewusstseins. Hier sind wir alle gefordert.