Propaganda im Netz – 5 Fragen an Dr. Lena Frischlich

Interview

In sozialen Netzwerken werden manche Posts mit einem ganz bestimmten Ziel veröffentlicht und geteilt: Hinter ihnen steckt das Weltbild einer Ideologie, die verbreitet werden soll. Populistische und extremistische AkteurInnen verfolgen dazu häufig eine spezifische Medienstrategie – und die kann auch Kinder und Jugendliche treffen. Wie diese aussieht und was Eltern wissen müssen, um ihr Kind gegen Propaganda zu stärken, haben wir die Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin Dr. Lena Frischlich gefragt. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit den Mechanismen von Propaganda und den Gegenangeboten.

Grafik mit Portrait von Dr. Lena Frischlich und der Nennung des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Bild: Susanne Lüdeling/Grafik: SCHAU HIN!

Im Internet stoßen Kinder und Jugendliche auf verschiedenste Ansichten – zum Teil auch auf extreme. Ab wann ist von Propaganda die Rede?

Das ist eine Frage, über die ziemlich viel diskutiert wird. In unserer Arbeit gehen wir davon aus, dass Propaganda eine Form von Kommunikation ist, die strategisch stattfindet, um Gedanken, Gefühle, aber auch Verhalten zu ändern – und zwar so, dass das Verhalten am Ende im Einklang mit einer Ideologie steht. Ganz oft ist das eine Weltanschauung, die davon ausgeht, dass sie die einzig richtige ist. Der Kommunikationswissenschaftler Klaus Merten beschreibt auch, dass mit Sanktionen gearbeitet wird. Häufig erfolgen diese nicht direkt, sondern irgendwann in einer dubiosen Zukunft. Oft ist Propaganda ein Versuch, eine Welt aufzubauen, in der es eine gute Menschen FeindInnen gegenüber stehen, die unveränderlich böse sind. Deswegen ist in Propaganda-Erzählungen die einzig logische Schlussfolgerung, dass man sich gewaltvoll und radikal gegen sie wendet.

Propaganda ist ein Dachbegriff, unter dem sich verschiedene Phänomene beobachten lassen: Hate Speech taucht oft bei Propaganda auf, wenn es um extreme Gruppenabwertungen geht, aber nicht jede Beleidigung ist direkt Propaganda. So ist es auch mit Fehlinformationen: Wir alle teilen mal Inhalte, die jetzt nicht genau so faktisch im Lexikon nachzulesen sind. Aber gerade bei gezielten Desinformationen, mit denen strategisch Leute getäuscht und manipuliert werden sollen, ist die Schnittstelle zu Propaganda sehr groß.

 

In welchem Ausmaß begegnen Kinder Propaganda-Beiträgen in ihrer digitalen Lebenswelt?

Egal, wo sich Kinder aufhalten: Sie müssen damit rechnen, dass sie auf politisch extreme Inhalte stoßen. Die Wahrscheinlichkeit ist leider groß. Es gibt Fälle, bei denen auf Programmier-Plattformen für die ersten Jahrgangsstufen versucht wird, „White Supremacy“-Inhalte zu verbreiten. Es gibt aber auch Zeitungen, die man regulär im Zeitungskiosk kaufen kann und die extrem menschenfeindliche Inhalte verbreiten. Ich gehe davon aus, dass Medien Gelegenheitsstrukturen darbieten, und ExtremistInnen versuchen, diese Gelegenheiten zu finden und auszunutzen. Gerade auf kleineren Plattformen im Netz ist es viel leichter, damit „durchzukommen“, weil niemand genau hinguckt.

PropagandistInnen versuchen, an der Lebenswelt von jungen Menschen anzusetzen: Mit Computerspielen, mit witzigen Memes, coolen Instagram-Stories. In dem Moment, wo ein Kontakt zur Szene stattgefunden hat, zum Beispiel wenn ein Kind AnwerberInnen einer extremistischen Gruppe begegnet ist, versuchen diese sehr explizit, geschützte Informationsräume aufzubauen. Sie beginnen, auf geschlossene Kanäle wie WhatsApp oder Telegram überzugehen und das Kind von Informationen, die diese extremistische Weltanschauung hinterfragen könnten, zu isolieren. In sehr schweren Radikalisierungsprozessen, wenn Eltern das Gefühl haben, dass ihr Kind keine Ratschläge mehr von außen annimmt, sollten sie spätestens eine Beratungsstelle aufsuchen. Davor steckt aber auch ein langer Prozess: Eine Radikalisierung passiert nicht von heute auf morgen. Das geschieht auch nicht durch einen einzelnen Medieninhalt. Ein einziger rechter Song kann nicht die Einstellung verändern. Durch Gespräche mit den Großeltern, NachbarInnen, LehrerInnen oder sogar durch die Vielfalt in sozialen Netzwerken gibt es immer noch ganz viel Kontakt zu anderen Inhalten und Meinungen.

 

Sind Kinder besonders gefährdet für eine Radikalisierung durch Propaganda?

Kinder und Jugendliche müssen grundsätzlich verschiedene Entwicklungsaufgaben bewältigen: herausfinden, wer sie sein wollen und wer ihre FreundInnen sind. Dazu kommt die Abnabelung vom Elternhaus. Und in diesem Abschnitt sind sie immer ein bisschen anfälliger für neue Ideen als später im Leben – vor allem für Gruppen, die ihnen das Gefühl geben, dazuzugehören und etwas Besonderes zu sein. Da setzen ExtremistInnen gezielt an. Außerdem ist es schon so, dass Kinder und Jugendliche von sich aus auf bestimmte Ideen nicht kommen, wenn sie die nicht in ihrem Umfeld sehen. Und dazu bietet das Internet immer die Möglichkeit.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder gar nicht erkennen, dass in einer Situation eine Form von Gewalt passiert, ist jedoch gar nicht so hoch. Wir haben einen natürlichen Schutzschild, der bei extremen Inhalten angeht. Schwierig sind allerdings subtile Propagandaformen: Ein Meme, das sich über Menschen jüdischen Glaubens lustig macht. Oder schöne, „sinnstiftende“ Blumenbilder, bei denen man nur am Rande liest, dass da total krasse Inhalte dahinterstehen. Es ist sinnvoll, ins Gespräch zu gehen, wenn man auf solche Inhalte stößt, und zu besprechen, warum man nicht alles im Netz teilt, ohne vorher drüber nachgedacht zu haben. Gerade wenn Kinder anfangen, soziale Medien zu nutzen, sollten sie wissen, dass Likes und Shares auch Reichweite produzieren und dass damit eine Verantwortung einhergeht.

 

Kann die Wahl der Medienangebote dazu beitragen, dass Kinder in Bezug auf Propaganda gefestigt werden?

Wenn der Anteil an negativen Inhalten im Netz überhand nimmt, etablieren sich ungesunde Normen. Gerade Kinder orientieren sich auch immer stark daran, wie alle anderen sich verhalten. Dafür ist es sehr wichtig, dass demokratische Aspekte im Netz auch vorhanden sind.
Wenn Videos, die gegenüber Propaganda stärken sollen, gut und spannend gemacht sind, fördern diese die Identifikation mit demokratischen Werten und wecken den Wunsch, sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Das ist der Vorteil von unserer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft: Dass wir sehr viel KünstlerInnen, eine fantastische Filmindustrie und tolle Theaterprojekte auf unserer Seite haben. Es gibt zahlreiche Medienangebote, die sich um die Fragen drehen, wie wir mit unterschiedlichen Gruppen umgehen und wie wir uns miteinander austauschen können, auch wenn wir unterschiedlich sind. Das können Kinder lernen, zu übertragen – und dann haben ExtremistInnen wirklich ein schwieriges Spiel. Das komplette Marvel-Universum beschäftigt sich zum Beispiel viel mit Diskriminierung. Es gibt eine sehr schöne Studie, die zeigt, dass Kinder, die im Grundschulalter viel Harry Potter lesen, im Langzeitvergleich weniger Vorurteile gegenüber Personengruppen abseits der vermeintlichen Norm haben – nicht nur gegenüber „Muggeln“, sondern zum Beispiel auch gegenüber Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung.

Unterhaltung sollte nicht unterschätzt werden. Deswegen lohnt es sich auch, anzuschauen, was die Kinder sich für Geschichten anschauen. Das funktioniert allerdings auch in beide Richtungen – etwas abzutun, nur weil es wie Unterhaltung aussieht, ist nicht die Antwort. Wir sehen zum Beispiel auch, dass gut gemachte, unterhaltende Propaganda-Videos weniger abgelehnt werden.

 

Wie kann man als Eltern gegen Beeinflussung durch Propaganda vorgehen?

Wichtig für die digitale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist, ein gutes Verhältnis zu den Eltern zu haben und miteinander ins Gespräch zu kommen. Familien können eine Kultur aufbauen, wo Kinder sich auch trauen, Sachen anzusprechen, die sie im Netz gesehen haben, die ihnen komisch vorgekommen sind oder die sie am Anfang vielleicht sogar spannend finden. Je mehr sie darüber im Gespräch blieben, was die jeweils andere Seite interessiert, desto leichter fällt dann auf, wenn es sich um demokratiefeindliche oder antisemitische Beiträge handelt. Ein anderer wichtiger Teil ist, Kinder zu mündigen, demokratischen BürgerInnen zu erziehen, die widersprechen, wenn andere angegriffen werden, die wissen, dass es nicht okay ist, Menschen abzuwerten, nur weil sie anderen Gruppen angehören, und die sich trauen, ihre Meinung zu sagen. Das fängt schon im Kindergarten an. Es ergibt sicherlich auch Sinn, mit Kindern frühzeitig über Versuche der Beeinflussung zu sprechen. Da ist die Forschung optimistisch: Man kann Kinder gut aufklären und auf den Umgang mit solchen Inhalten vorbereiten. Es gibt zum Beispiel sehr gute Materialien von Klicksafe für Eltern, gerade auch für den Umgang mit Fehlinformationen und Hate Speech.

Wenn man es schafft, im stressigen Alltag mit den Kindern und den Lehrkräften im Gespräch zu bleiben und das ernst zu nehmen, was Kinder einem sagen, dann ist das schon ein ganz großer Schritt für einen gesunden Medienumgang und da ist die Stärkung gegen Propaganda nur ein Teil von.

Dr. Lena Frischlich leitet am Institut für Kommunikationswissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster die Nachwuchsforschungsgruppe DemoRESILdigital: Demokratische Resilienz in Zeiten von Online-Propaganda, Fake News, Fear und Hatespeech. Davor hat Sie an der Universität zu Köln Psychologie studiert und in der Medien- und Kommunikationspsychologie promoviert.