Rassismus in Medien: „Es ist höchste Zeit, dass wir da herauswachsen.“ – 5 Fragen an Miriam Nadimi Amin
InterviewRassismus – ob in Spielen, Filmen, Büchern oder Geschichten – ist in unserer Medienwelt sowie in unserer Gesellschaft noch immer fest verankert. SCHAU HIN! hat Miriam Nadimi Amin (M.A. Pädagogik/ Konfliktmanagement) gefragt, wie Eltern mit ihren Kindern über rassistische Stereotype sprechen können. Sie ist Trainerin, Mediatorin und Coach für einen diskriminierungskritischen Umgang mit Diversität.
Wo sehen Sie die größte Gefahr, dass Kinder und Jugendliche bei der Nutzung von digitalen Medien mit Rassismus konfrontiert werden?
Oft wird die Wirkung subtiler Formen von Rassismus unterschätzt. Doch diese stellen ebenfalls eine Gefahr dar neben den offenkundigen und direkten Beleidigungen. Damit meine ich unbewusste Äußerungen, unreflektierten Sprachgebrauch und die Reproduktion von Bildern, die rassistische Stereotype und Vorurteile vermitteln. Digitale Medien sorgen dafür, dass diese innerhalb von Sekunden mit nur einem Klick weitergeleitet und verbreitet werden. Dabei trägt die Reichweite, die Anonymität im Netz, sowie die gefühlte Distanz zu realen Personen dazu bei, Rassismuserfahrungen zu erhöhen. Die Hemmschwelle wird gesenkt und rassistische Botschaften werden als ‚normal‘ oder legitim betrachtet. Es erfordert bewusste Reflexion und Selbstdisziplin, sowie Begleitung und Austausch mit sensibilisierten Eltern, damit Kinder und Jugendliche sich gegen diese Dynamik entscheiden.
Ein weiterer problematischer Aspekt in den digitalen Medien ist das Nicht-gezeigt-werden. Repräsentiert wird die Mehrheitsgesellschaft. Diese hat das Privileg, wahrgenommen zu werden und dadurch bedeutsam zu sein. Das hat zur Folge, dass Minderheiten von diesem Privileg ausgeschlossen sind. Doch wie kann ein Zugehörigkeitsgefühl zur Gemeinschaft entstehen, wenn die unbewusste Botschaft vermittelt wird, nicht dazuzugehören? Gesehen und mitgedacht zu werden, hat etwas mit Anerkennung zu tun, mit Respekt, letztendlich mit Teilhabe. Eltern dürfen sich also folgende Fragen stellen: Wie wird in den Medien übereinander gesprochen? Welche Zuschreibungen werden gemacht? Wer wird in Videos und Bildern gezeigt und wer nicht? Wie werden nicht-Mehrheitsdeutsch-Aussehende dargestellt? Bilder und Sprache vermitteln Botschaften und prägen unsere ‚Bilder im Kopf‘. Wenn diese Minderheiten ignoriert und als ‚Problem‘ darstellen oder sogar kriminalisiert werden, dann ist das diskriminierend und rassistisch.
Wie können weiße Eltern mit ihren Kindern altersgerecht über Rassismus sprechen?
Ich halte es für notwendig, die Welt so zu erklären, wie sie ist. Dabei brauchen Eltern nicht auf die gesamte Brutalität einzugehen. Ich denke da z.B. an die Bilder im Zusammenhang mit Polizeigewalt gegenüber POCs. Es ist wichtig mit Kindern altersgerecht darüber zu sprechen. Darüber, dass Menschen nicht alle die gleichen Erfahrungen machen.
POC
Person of Colour – Eigenbezeichnung. Menschen, die sich Rassismus-Erfahrungen teilen.Dass es Menschen in unserer Mitte gibt, die schlechter behandelt werden, beleidigt, ausgegrenzt oder ignoriert werden, Gewalt erfahren, über die sich lustig gemacht wird und denen Verletzungen abgesprochen werden – und das auf Grund äußerlicher und körperlicher Merkmale, wie Haut- oder Haarfarbe, aber auch auf Grund von (Aus-)Sprache oder einer vermeintlichen Religionszugehörigkeit (und einigen anderen Merkmalen). Wahrscheinlich werden Kinder in ihrer Logik dann fragen „Aber warum?“ Und dann gilt es das auszuhalten und zu erklären, dass viele noch nicht verstanden haben, dass wir alle gleichwertig sind, dass uns Vielfalt eigentlich bereichert, dass wir voneinander und miteinander lernen können und uns jeden Tag bemühen müssen, es besser zu machen.
In einigen beliebten Kinderbuch- und -film-Klassikern werden rassistische Stereotypen reproduziert. Darf man sie noch lesen oder schauen? Wenn ja, wie?
Von manchen Büchern und Medien darf sich tatsächlich verabschiedet werden. Viele Medien reproduzieren immer noch rassistische Stereotype. Sie reduzieren Völker und sogar Kontinente auf ein Merkmal, auf ursprüngliche Traditionen, z.B. auf die Jagd oder das Fischen, auf Baströcke und Lehmhütten oder eben auf körperliche Merkmale. Oder sie bekommen in diesen Büchern erst gar keinen Namen. Dadurch wird Menschen und Völkern Ernst und Respekt entzogen. Ihnen wird Entwicklung und Fortschritt abgesprochen und sie werden nicht auf Augenhöhe behandelt, als gleichwertige Mitmenschen dieses Planeten. Das stellt ein unrealistisches und verzerrtes Weltbild dar. Vor allem, da die eigene ‚Kultur‘ und das eigene Volk (die ‚weiße‘ oder europäische) stets als gebildet, fortschrittlich und modern dargestellt wird. Was auch häufig vorkommt sind verniedlichte Darstellungen – diese sind ebenfalls rassistisch. All das ist verletzend und kann weg. Solche Medien haben keinen Mehrwert. Unter dem Vorwand, einen Zugang zu ‚anderen Kulturen‘ zu schaffen, lehren sie rassistische Denkmuster, die weiterhin gesellschaftliche Hierarchien aufrechterhalten, nämlich die, die schon zu Zeiten des Kolonialismus verwendet wurden. Es ist höchste Zeit, dass wir da herauswachsen. Besonders Bücher, Lieder und CDs, die zu einer ‚Reise um die Welt‘ einladen, und die Welt erklären wollen sind besonders anfällig für rassistische Stereotype und Vorurteile und scheitern bei ihrem Versuch zu informieren. Hier sollten Eltern mit einem Rassismus-kritischen Blick kommentieren und hemmungslos aussortieren.
Wenn Jugendliche online von rassistischen Beleidigungen betroffen sind oder solche mitbekommen, wie können sie reagieren, um sich oder andere zu schützen?
Diejenigen, die rassistisch beleidigt werden, dürfen sich immer wieder bestätigen, dass das, was da gerade passiert nicht in Ordnung ist, menschenunwürdig. Sie dürfen sich sagen, dass mit ihnen alles stimmt, dass sie genau richtig sind, so wie sie sind. Solche Angriffe auf ein identitätsbezogenes Merkmal unseres Seins sind sehr schmerzhaft. Was es zusätzlich verletzend macht, ist, dass Beleidigungen verletzen möchten. Da bedient sich jemand eines Musters, von dem klar ist, dass es funktioniert, weil es gesellschaftliche Ungleichheit eben noch gibt. Opfer von Rassismus fühlen sich oft ohnmächtig (ohne-Macht). Das liegt daran, dass Rassismus dem einen Macht zuspricht und sie dem anderen entzieht. Allein kommt man dagegen nicht an. Betroffene können diese gesellschaftliche Machtschieflage nicht ausgleichen. Sie können zwar Grenzen setzten, erklären, argumentieren oder einfach emotional reagieren – je nach dem, zu was sie sich gerade in der Lage fühlen. Hauptsache reagieren, im Netz kommentieren und Aufmerksamkeit schaffen, ohne selbst beleidigend zu werden, denn das führt oft zu weiteren belastenden Hate-Kommentaren. Auch Abwenden und den Chat verlassen als Selbstschutz kann eine Lösung sein. Hilfreich ist außerdem der Austausch mit Freunden, über das Erlebte sprechen und gehört werden. Sich mit Menschen zu umgeben, die einen für den Menschen schätzen, der man ist. Die Nähe zu anderen POCs zu suchen, um Erfahrungen und Umgangsmöglichkeiten auszutauschen, hilft ebenfalls.
Doch die weitere Verantwortung bei der Auseinandersetzung mit Rassismus liegt bei denen, die nicht davon betroffen sind. Sie müssen sich gegen Rassismus positionieren, sollten protestieren, diskutieren, widersprechen, Botschaften dekodieren, aufklären und somit deutliche Grenzen gegen Rassismus setzen. Außerdem können sie zuhören, wenn Betroffene von ihren Erfahrungen sprechen, sie ernst nehmen und sie bestätigen, ohne ihre Erfahrungen relativieren oder sich rechtfertigen zu wollen. Auch Beratungs- und/oder Beschwerdestellen können aufgesucht, und bei Bedarf Anzeige erstattet werden.
Welche Entwicklungen sehen Sie im Umgang mit Rassismus in digitalen Medien? Gibt es Veränderungen beispielsweise bei geeigneten Angeboten für Kinder?
Das Thema ‚Rassismus‘ wird immer sprachfähiger. Die Auseinandersetzung mit Rassismus nimmt zu. Das liegt hauptsächlich daran, dass Betroffene sich immer mehr Räume erschließen, aus denen sie bisher gesellschaftlich ausgegrenzt waren. Die sozialen Medien machen das möglich. Sie ermöglichen Zugänge. So können Menschen, die Rassismus erleben ihre Alltagserfahrungen schildern und ihre Lebenswirklichkeiten teilen, die im Fernsehen und in Büchern kaum Beachtung findet. Sie können ungehindert ihr Recht der Meinungsfreiheit ausüben und sich Gehör verschaffen, ob auf YouTube-Channels, Instagram oder in Podcasts, ob als InfluencerIn oder einfach als BürgerIn Deutschlands. Das ist ein Fortschritt, der eine neue Dynamik in Gang gesetzt hat. Nämlich diejenigen zu hören, um die es geht. Das erfordert seitens der Nicht-Betroffenen ein gutes Zuhören und Hingucken, ein Aushalten von Situationen, die auch mal unbequem werden können. Und es braucht Mut, um eigene Stereotype und Vorurteile bewusst zu reflektieren. Die Bereitschaft das zu tun, ist bereits sichtbar geworden, auch wenn noch ein langer Weg vor uns liegt.