Die „Manosphere“ auf TikTok: Frauenhass als Trend

Frauenfeindliche Ideologien, fragwürdige Dating-Coaches und sexistische Witze: Auf TikTok ziehen solche Videos Millionen von jungen Männern in ihren Bann. Dabei spielt der Influencer Andrew Tate eine entscheidende Rolle. Auch in Deutschland wird die sogenannte „Manosphere“ immer größer. SCHAU HIN! hat die wichtigsten Fakten und Begriffe für Eltern zusammengefasst.

Zwei Teenager sitzen an einem düsteren Tag auf einer leeren Sporttribüne. Ein Teenager schaut gedankenverloren aufs Smartphone.
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Über 13 Milliarden Videos mit dem Hashtag #andrewtate kursieren auf TikTok – viele davon gefüllt mit frauenfeindlichen Witzen und gewaltverherrlichenden Aussagen. Diese Inhalte sind zu einem besorgniserregenden Trend geworden. Auch auf YouTube oder in der Meme-Kultur finden sich vermehrt frauenverachtende Botschaften. Wie solche Inhalte zur Radikalisierung junger Männer beitragen und wie gefährlich dieser Frauenhass werden kann, zeigte auch die Netflix-Serie „Adolescence“, die einen neuen Diskurs zur Manosphere ausgelöst hat.

Was ist die Manosphere?

Die Manosphere (dt. Manosphäre, oder auch Sphäre des Mannes) ist ein loses, antifeministisches Netzwerk von Männern, das sich vor allem online auf TikTok, YouTube, Reddit sowie in Blogs und Foren organisiert. Dort wird vorrangig auf englisch miteinander kommuniziert, aber es gibt auch deutsche Online-Communities. 

Diese Männer sind davon überzeugt, dass sie aufgrund des Feminismus oder der Gleichberechtigungsbewegung in der modernen Gesellschaft benachteiligt sind. Gemeinsam ist diesen Online-Communities ein tief verwurzelter Frauenhass und die Vorstellung, dass Frauen Schuld an ihren Problemen seien. Frauen werden innerhalb der Manosphere nicht als vollwertige Menschen wahrgenommen, sondern nur auf ihre Sexualität reduziert. Einige vertreten die Haltung, dass ihnen Sex mit Frauen selbstverständlich zustehe.

In der Manosphere sind von unsicheren Jugendlichen, die nicht wissen, wie sie Mädchen ansprechen sollen, bis hin zu gewaltbereiten Rechtsextremisten unterschiedlichste Personen, Einstellungen und Gruppierungen anzutreffen. Viele vertreten ein Bild von toxischer Männlichkeit, das Stärke, Dominanz und emotionale Kälte idealisiert – und dabei Weiblichkeit und „schwache“ Männer abwertet. Dieses männliche Idealbild wird oft unter dem Begriff „Alpha-Mann“ zusammengefasst. Auch außerhalb der Bewegung findet der Begriff Anwendung, beispielweise in Rap-Musik von Künstlern wie Kollegah oder Capital Bra. Die Hauptziele innerhalb der Manosphere lassen sich in dem Streben nach Kontrolle, Anerkennung und einer Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen zusammenfassen, können aber je nach Gruppierung stark variieren. 

Wer ist Andrew Tate?

Der Unternehmer und ehemalige Kickbox-Weltmeister Andrew Tate ist wohl das bekannteste Gesicht der Manosphere. Er wurde durch seine sportlichen Erfolge bekannt und trat später in einer britischen Reality-Show auf. Er musste die Show verlassen, nachdem ein Video veröffentlicht wurde, in dem er offenbar eine Frau attackiert. Der Skandal verhalf ihm jedoch zu mehr Berühmtheit im Internet. Andrew Tate wurde als Influencer sehr erfolgreich und baute sich ein Image als „Selfmade-Millionär“ und Männlichkeits-Coach auf. Seine provokanten, oft frauenfeindlichen Aussagen verbreitete er gezielt über Social Media, bis er auf den meisten Plattformen gesperrt wurde. Frauenfeindliche Aussagen bis hin zur Gewaltandrohung – etwa, dass eine Frau, die Untreue anspricht, geschlagen werden sollte – sind keine Seltenheit bei Tate. Der ehemalige Kickboxer vertritt die Ansicht, dass es legitim ist, Frauen auszubeuten, da sich Männer nur so gegen die feministische Übermacht wehren können.

Riesige Reichweite durch Affiliate-Marketing

Eine Erfolgsmasche des Influencers ist Affiliate-Marketing. Er bietet kostenpflichtige Online-Kurse an und verspricht darin, Männern beizubringen, wie sie reich, mächtig und erfolgreich werden. Teilnehmer können Geld verdienen, indem sie einen speziellen Link teilen, über den andere sich anmelden – dafür bekommen sie eine Provision. Sie posten TikToks oder YouTube-Videos mit Tates Aussagen, um möglichst viele Klicks zu generieren. So verbreitet sich seine frauenfeindliche Ideologie, weil sie mit einem finanziellen Anreiz verknüpft ist. Trotz seiner Verhaftung im Jahr 2022 wegen Vorwürfen wie Menschenhandel, sexueller Ausbeutung und Vergewaltigung bleibt Andrew Tates Reichweite enorm – besonders auf TikTok, obwohl er dort offiziell gesperrt ist. 

Auch in Deutschland gibt es Männer, die dem Vorbild von Andrew Tate folgen. Ein Beispiel dafür sind die Brüder Nino und Elias Haralambidis, die das Netzwerk „ChampLife“ gegründet haben. Laut Recherchen der Reportage-Formate STRG_F und Y-Kollektiv lernen Männer dort, wie sie Frauen gezielt in emotionale Abhängigkeit bringen können – mit dem Ziel, sie zur Produktion sexualisierter oder pornografischer Inhalte zu bewegen, um damit auf Plattformen wie OnlyFans Geld zu verdienen.

Diese Gruppierungen sind aktiv in der Manosphere

Innerhalb der Manosphere sind besonders vier Gruppierungen relevant:

  • Männlichkeits-Influencer
    Dabei handelt es sich um Online-Persönlichkeiten wie Andrew Tate, die besonders auf Instagram und TikTok jungen Männern versprechen, sie zu Reichtum, Erfolg und „echter Männlichkeit“ zu führen. Ihre Botschaften wirken auf den ersten Blick wie Motivationsreden, enthalten aber oft frauenfeindliche Inhalte. Sie inszenieren sich selbst als „Alphas“, die mit ihrem Luxus und ihrem muskulösen Körper angeben möchten.  
     
  • Pick-Up-Artists (dt. Abschlepp-Künstler)
    Diese Männer geben online Tipps, wie man möglichst viele Frauen zu Sex überreden kann. Dabei setzen sie auf manipulative Taktiken, die häufig auf Kontrolle, psychologischen Druck oder Abwertung der Frau basieren.
     
  • Men’s Rights Activists (dt. Männerrechtsaktivisten)
    Diese Männer sehen sich als Verlierer gesellschaftlicher Veränderungen und glauben, dass Frauen mittlerweile systematisch im Vorteil sind. Daher setzten sie sich für die Stärkung männlicher Vorrechte und gegen die Gleichstellungspolitik ein.
     
  • Incel, kurz für Involuntary Celibates (dt. unfreiwillig zölibatär)
    Als Incels bezeichnen sich Männer selbst, die keinen sexuellen Kontakt zu Frauen haben und das als persönliches Versagen erleben. Viele machen Frauen dafür verantwortlich, weil sie nur an attraktiven „Alpha-Männern“ interessiert seien. In radikalen Fällen äußern Incels online Hassfantasien oder Gewaltandrohungen gegen Frauen. In der Vergangenheit kam es bereits zu tödlichen Amokläufen durch Männer, die sich selbst als Incels identifizierten. In der ZDF Doku „Incels: Vom Frauenhass zum Amoklauf“ wird beleuchtet, wie junge Männer sich radikalisieren.
     

 

Die in der Manosphere verbreiteten Aussagen basieren nicht auf Fakten. Frauen haben in vielen gesellschaftlichen Bereichen – etwa beim Einkommen, in Führungspositionen oder bei der unbezahlten Sorgearbeit – immer noch mit Benachteiligung zu kämpfen. Daher sind Feminismus und Gleichstellungsbewegungen nach wie vor notwendig, um echte Chancengleichheit zu erreichen.

Wie landen solche Videos auf TikTok?

Über 13 Milliarden Videos mit dem Hashtag #andrewtate kursieren auf der Plattform. Somit spielt TikTok eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Inhalte und der Vernetzung innerhalb der Manosphere. Der Algorithmus der Plattform bevorzugt emotional aufgeladene und polarisierende Videos. Wer ein solches Video sieht, bekommt weitere ähnliche Inhalte angezeigt. Zu Beginn erscheinen sie oft harmlos oder lustig, doch die Inhalte werden meist extremer. 

Da die meisten Videos nicht offen zu Gewalt aufrufen, sondern ihre frauenfeindlichen Botschaften hinter Witzen, „Dating“-Tipps oder persönlichen Anekdoten verstecken, verstoßen sie nicht direkt gegen die TikTok-Richtlinien. Daher bleiben die Videos online und können viele Millionen junger NutzerInnen erreichen. 

Es gelingt TikTok nicht immer, gewaltverherrlichende Videos rechtzeitig zu entfernen – sie werden oft neu hochgeladen, nutzen Code-Wörter oder verbreiten sich schneller, als sie geprüft werden können. Der Algorithmus erkennt manche Inhalte nicht sofort, und die Moderation kommt mit der Menge an problematischen Beiträgen oft nicht hinterher.

Warum ziehen diese Ideologien junge Männer an?

Junge Männer befinden sich in einer Phase der Selbstfindung, in der Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und dem eigenen Wert besonders wichtig sind. Gerade in dieser Zeit sind sie anfällig für Einflüsse von außen. Influencer wie Andrew Tate und Videos aus der Manosphere liefern einfache Antworten auf komplexe Fragen. Sie versprechen schnelle Lösungen für tiefgehende Probleme wie fehlendes Selbstbewusstsein oder Einsamkeit und schaffen das Gefühl von Gemeinschaft. Die Manosphere nutzt ein Vakuum aus: Während sich weibliche Rollenbilder durch den Feminismus weiterentwickelt haben, fehlt es vielen Jungen an positiven, modernen Vorbildern. Gleichzeitig zeigt die weltpolitische Lage, dass Männer mit rücksichtslosem Auftreten und frauenfeindlichen Aussagen – etwa Donald Trump – sehr erfolgreich sein können. 

In der britischen Netflix-Serie „Adolescence“ wird genau diese Problematik eindringlich dargestellt. Sie zeigt die Geschichte des 13-jährigen Jamie, der unter Verdacht steht, seine Mitschülerin ermordet zu haben. Dabei wird seine Radikalisierung durch soziale Medien, einen cholerischen Vater und das Aufwachsen ohne positive männliche Vorbilder in den Vordergrund gestellt. Die Serie stellt die Frage, wie Jugendliche in extremistische Ideologien abgleiten und welche Rolle dabei das Internet spielt. 
 

Was Eltern tun können

  • Interesse zeigen 
    Um zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche in Ideologien abdriften, ist es wichtig, mit ihnen im Gespräch zu bleiben – besonders über das, was sie online sehen, liken und teilen. Soziale Medien sind für viele eine zentrale Informationsquelle, aber Meinungen, Fakten und Provokation lassen sich dort oft schwer unterscheiden. Wenn Eltern Interesse zeigen und ohne Vorurteile zuhören, schaffen sie Vertrauen – eine wichtige Grundlage dafür, dass Kinder sich öffnen, wenn ihnen etwas komisch vorkommt.
     
  • Über Rollenbilder und Beziehungen sprechen
    Hilfreich ist es auch, gemeinsam über Rollenbilder, Respekt und gesunde Beziehungen zu sprechen. Gleichberechtigung bedeutet nicht den Verlust von Männlichkeit, sondern ein Zugewinn an Freiheiten für Frauen und Männer. Vielleicht macht es Sinn, nach positiven männlichen Vorbildern, die Werte wie Fairness und Rücksicht verkörpern, Ausschau zu halten. Es ist wichtig, Jugendliche dabei zu bestärken, kritisch mit sexistischen oder gewaltverherrlichenden Inhalten umzugehen und sie zu hinterfragen. Wer ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt, ist weniger anfällig für extremistische oder frauenfeindliche Weltbilder.
     
  • Bildschirmzeit regulieren
    Zudem ist es sinnvoll, die Bildschirmzeiten und Mediennutzung altersgerecht zu beschränken. TikTok bietet mit dem Begleiteten Modus eine erweiterte Funktion, mit der Eltern die Bildschirmzeit ihrer Kinder begrenzen, Pausen einrichten und Inhalte besser steuern können. Zusätzlich lassen sich Funktionen wie Nachrichten, Kommentare, Suche und die Sichtbarkeit des Profils einschränken sowie ungeeignete Inhalte im Feed filtern. Um den Modus zu aktivieren, müssen Eltern die App auf ihrem eigenen Smartphone installieren und gemeinsam mit dem Kind koppeln.
     
  • Weitere Informationen und Anlaufstellen 
    Auch die Websites juuuport.de und klicksafe.de bieten hilfreiche Informationen rund um extremistische Inhalte im Netz und den Umgang damit. Eltern mit Teenagern können sich mit ihnen etwa im jugendgerechten Podcast „Nach den Rechten geschaut“ von rise-jugendkultur.de informieren – besonders Folge 3 greift das Thema passend auf. Bei Schwierigkeiten in der Erziehung oder familiären Krisen steht zudem die Nummer gegen Kummer vertraulich und kostenlos als Anlaufstelle zur Verfügung.