Faszination Castingshows – Was Eltern wissen sollten

Immerzu wird gesucht: Dieter Bohlen sucht Deutschlands Superstar, Heidi Klum sucht das nächste Topmodel und bei SAT 1 sucht der Bauer eine Frau. „Supertalent“, „Let´s dance“ oder „The Voice Kids“ heißen Castingshows, die ein Millionenpublikum fesseln – ein willkommener Anlass, um Kindern Medienkompetenz zu vermitteln.

Alter Röhrenfernseher mit Beinen steht vor einer Betonwand
Saven Scheuermeier/Unsplah

Für Kinder und Jugendliche sind die KandidatInnen in Castingshows ideale Identifikationsfiguren. Sie fühlen mit ihnen, hoffen und bangen um ihre Erfolge und ihr Scheitern. Zustimmung oder Ablehnung der Jury oder des Publikums erleben sie, als gelte es ihnen selbst. Castingshows wecken Wünsche danach, beliebt, berühmt, erfolgreich zu sein. Sie inszenieren den großen Anreiz, sich mit anderen zu messen und als SiegerIn hervorzugehen.

Interessen der Kinder ernst nehmen

Was Kinder gerne in den Medien anschauen, erwächst aus den Lebensthemen, die sie gerade beschäftigen. Wenn zwei Drittel der Kinder zwischen sechs und 17 Jahren Castingshows anschauen, wie eine Befragung der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen ermittelte, sagt das viel aus über die Themen dieser Lebensphase. Was genau jedem einzelnen Kind auf den Nägeln brennt, lohnt sich herauszufinden! Etwas wagen, sich bewähren, scheitern oder siegen – aber auch einzigartig, beliebt und berühmt zu werden; der Stolz von Eltern, Verwandten und FreundInnen zu sein, das sind hochemotionale Aspekte im Alltag heranwachsender Kinder. Dieses Anliegen, etwas über sich selbst und die Welt zu erfahren, verdient allen Respekt. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern und Kinder über das Gesehene ins Gespräch kommen. Das signalisiert dem Kind, in seinen Interessen verstanden zu werden.

Es ist wichtig, dass Eltern und Kinder über das Gesehene ins Gespräch kommen.

Über Klischees und Vorurteile sprechen

Mit Klischees behaftet und sehr fragwürdig ist das Frauen- und Männerbild, das viele Castingshows vermitteln. Frauen werden oft auf Äußerlichkeiten reduziert und als naiv dargestellt. Bei Männern geht es um Stärke und Erfolg. Wie können Eltern dem entgegen wirken? Sie können klar zu den Rollenbildern Stellung beziehen: Wenn Menschen auf einige wenige Eigenschaften reduziert werden, ist das zu wenig. Kinder müssen von ihren Eltern auch erfahren, dass vor allem der Charakter einer Person wichtig ist und dass man sie deshalb wertschätzen sollte.

Inszenierungsmechanismen erkennen

Der Unterschied zwischen Realität und Fiktion, zwischen Authentizität und Inszenierung verschwimmt bei Castingshows. Die KandidatInnen sind keine SchauspielerInnen, sondern reale Menschen, die im Verlauf der Sendung systematisch Stress ausgesetzt werden. So wirkt die Show dokumentarisch, ohne es zu sein. KandidatInnen werden nach Charakteren ausgesucht, die stark überzeichnet agieren: Das Dummchen, die Zicke, das Weichei, der Siegertyp sind Rollen, die eine solche Inszenierung verlangt. Oft ist dies eine Einladung, sich über die Charaktere lustig zu machen und sie mit Spott und Häme zu übergießen. Ein Widerspruch tut sich auf: In der Familie und in der Schule lernen Kinder, dass sie sich nicht über andere lustig machen sollen. In der Castingshow passiert das genaue Gegenteil. Zum Zweck der Unterhaltung werden KandidatInnen schonungslos bloßgestellt. Castingshows sind keine Talentwettbewerbe, in denen KandidatInnen ihr Können unter Beweis stellen, sondern kommerzialisierte Unterhaltungsformate. Viele TV-Formate sind so erfolgreich, weil sie das Publikum eng an die ProtagonistInnen binden. Dazu dienen vor allem „Second Screen“-Angebote wie Fanseiten oder Profile der Darsteller auf Facebook und Instagram. Gewinnspiele, etwa verbunden mit dem Aufruf, Selfies öffentlich unter einem Hashtag zu posten, animieren zudem zur Preisgabe privater Daten. Die Plattformen enthalten oft beleidigende Kommentare, werden nicht moderiert, bergen Kontakt- sowie Konfrontationsrisiken und sind daher für Kinder ungeeignet.

Realistische Erwartungen stärken

Castingshows als Spiele ohne klare Grenzen wirken über Identifikation und Emotion. Besonders jüngere Kinder erliegen der Faszination, weil sie noch nicht über die Fähigkeit verfügen, Dinge klar zu trennen, Hintergründe und Absichten zu erkennen. Deshalb reagieren sie rein emotional – nach den Absichten der Dramaturgie. Vor allem jüngere Kinder können den suggerierten Traum vom schnellen Ruhm als realistische Perspektive für das eigene Leben missverstehen. Sie fiebern mit und träumen von medialem Ruhm und einer Karriere als kommender Star. Je jünger, desto schwieriger, sich von diesen Traumbildern zu distanzieren. Älteren ist es eher möglich, eine kritische Haltung zu Castingshows einzunehmen. Eltern können hier viel erreichen, wenn sie gemeinsam mit den Kindern schauen und darüber sprechen. Castingsshows sind nämlich nicht nur Schulhofthemen, sondern auch willkommene Gesprächsanlässe in der Familie – um ganz nebenbei wertvolle Medienkompetenz zu vermitteln.