Mediensucht durch die Augen von Kindern und Jugendlichen

Der Kinderreport 2021 untersucht, wie Heranwachsende Mediensucht einschätzen und wie sehr die Problematik in ihrer Lebenswelt präsent ist. SCHAU HIN! stellt die Ergebnisse vor und bietet Tipps für Eltern.

Ein Mädchen beobachtet ihren Bruder dabei, wie er ein Spiel auf einem Tablet spielt
Alex Green/Pexels

Immer mehr vernetzte, vielschichtige Medienangebote, immer höhere Bildschirmzeiten während der Coronapandemie: So sieht im Frühjahr 2021 die digitale Welt von vielen Kindern und Jugendlichen aus. Wenn die Geräte dauerhaft laufen, ist häufig schnell von einer Sucht die Rede. Von „Mediensucht“ zu sprechen, ist grundsätzlich schwierig, denn sie ist noch nicht offiziell als Krankheit anerkannt. Eine tatsächliche Sucht liegt nur in den seltensten Fällen vor, denn dazu müssen Betroffene bestimmte Suchtkriterien über einen längeren Zeitraum erfüllen. Umso wichtiger ist es, das Alltagsverständnis von Mediensucht zu beleuchten: Der Kinderreport 2021 hat es sich daher zum Ziel gemacht, die Einschätzungen, Erfahrungen und Bewältigungsstrategien von Kindern und Jugendlichen darzulegen. Befragt wurden 669 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zehn und 17 Jahren. Die Studie wurde vom Deutschen Kinderhilfswerk beauftragt und vom Politikforschungsinstitut Kantar Public durchgeführt.

Wie Mediensucht empfunden wird

Heranwachsende sollten im Rahmen der Befragung beschreiben, wann aus ihrer Sicht von Mediensucht gesprochen werden kann. Das von Kindern und Jugendlichen am häufigsten genannte Kriterium ist, dass eine betroffene Person nicht mehr mit der Mediennutzung aufhören kann, obwohl sie das gerne möchte – 88 Prozent der Befragten empfinden ein solches Verhalten als Mediensucht.

Weitere Anzeichen sind für die Befragten, andere Lebensbereiche wie zum Beispiel die Schulaufgaben wegen der Mediennutzung zu vernachlässigen (86%), sich zurückzuziehen und sich von der Familie und FreundInnen zu distanzieren (83%) oder sich unwohl, nervös und unzufrieden zu fühlen, wenn die Mediennutzung in einer Situation nicht möglich ist (81%). Nach den Angaben der Kinder und Jugendlichen kann außerdem von Mediensucht die Rede sein, wenn jemand aufgrund seiner/ihrer Mediennutzung in Stress mit dem sozialen Umfeld gerät (70%) oder wenn ein bestimmtes Medium in der Freizeit eine sehr lange Zeit genutzt wird, etwa mehrere Stunden am Stück (64%).

Aus den Antworten wird deutlich, dass für die Mehrheit der Befragten eine intensive Mediennutzung das Alltagsverständnis von Mediensucht ausmacht. Allerdings zeigen die Ergebnisse, dass Kinder und Jugendliche dennoch eine differenzierte Sicht auf den Begriff benötigen, denn die Wahrnehmung von Mediensucht ist sehr individuell: Was eine Person als „normale“ Mediennutzungsdauer ansieht, kann für eine andere Person schon eine Überschreitung darstellen.

Selbsteinschätzung zu Mediensucht

Circa die Hälfte der Heranwachsenden gibt an, weder bei sich noch bei anderen je eine Mediensucht erlebt zu haben (49%). Insgesamt 12 Prozent der Kinder und Jugendlichen berichteten hingegen, dass sie bereits selbst von Mediensucht betroffen waren. Im Kinderreport wird eingewandt, dass die Selbsteinschätzung der Heranwachsenden höher liegt, als es die wissenschaftliche Studienlage tatsächliche Fälle bezeichnet: Zwar schätzen andere Studien etwa zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen als risikogefährdet ein, aber von einem pathologischen („krankhaften“) Mediengebrauch wird in der Forschung nur bei ca. drei Prozent der jungen NutzerInnen gesprochen. Der Grund für diese kritische Selbsteinschätzung kann darin liegen, dass intensive Mediennutzung von Heranwachsenden häufig als eine Mediensucht empfunden wird, erklären die AutorInnen die Zahlen. Die HerausgeberInnen des Kindereports raten dazu, Kinder und Jugendliche über den Unterschied zwischen einer hohen Bildschirmzeit und tatsächlich ungesundem Verhalten zu informieren. So kann ihren Sorgen besser begegnet werden und sie sind in der Lage, ihr Nutzungsverhalten angemessener einschätzen zu können.

 

Mit Maßnahmen dagegenwirken

Die Heranwachsenden wurden gefragt, welche Maßnahmen sie für sinnvoll befinden, um Mediensucht in der Freizeit entgegenzuwirken. Dabei geben 90 Prozent an, dass es eine gute Maßnahme wäre, das Thema Mediensucht in der Schule zu behandeln. Für mehr kostenfreie Beratungsangebote zum Thema Mediensucht plädieren ebenfalls 77 Prozent. Aber auch in Bezug auf die Anwendungen haben die meisten Kinder und Jugendliche Änderungswünsche: Eine Mehrheit spricht sich dafür aus, dass Medien, die süchtig machen können, entsprechend gekennzeichnet werden sollten (84%) oder dass es für diese Angebote Altersgrenzen geben sollte (78%). Große Zustimmung findet auch der Vorschlag, die Anwendungen in der möglichen Nutzungsdauer einzuschränken (77%).

Maßnahmen, die keine Mehrheit unter den befragten Heranwachsenden fanden, waren Verbote: Lediglich 38 Prozent befürworten das Verbot von süchtig machenden Medien, 17 Prozent ziehen als Maßnahme das Mindestalter von 14 Jahren bei der Handynutzung in Betracht.

Mit Kindern und Jugendlichen über hohe Mediennutzung sprechen

Die Ergebnisse des Kinderreports zeigen, dass Heranwachsende sich Orientierung wünschen – dabei können Eltern sie unterstützen: Besser als strikte Verbote sind hierbei klare Regeln über Bildschirmzeiten. Essenziell ist außerdem das Gespräch mit den Kindern über ihre digitalen Aktivitäten. So können Heranwachsende ihre eigenen Erfahrungen machen und gemeinsam im Austausch mit ihren Eltern lernen, was als unkritisch oder besorgniserregend zu bewerten ist. Eltern können jungen NutzerInnen das Wissen vermitteln, wie bestimmte Mechanismen (beispielsweise um Kinder im Spiel zu halten) funktionieren – damit diese ihre Mediengewohnheiten reflektieren können.

Die HerausgeberInnen des Kinderreports raten Eltern: „Neben der Zuwendung zum eigenen Kind und seinen Medienwelten, um gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen zu ermöglichen, bedarf es der Reflexion der eigenen Mediennutzung sowie einer Werthaltung, die glaubhaft vermittelt und vorgelebt werden kann“.

Aus dem Bericht ergibt sich auch, dass es wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche Ansprechpersonen haben, wenn ihnen ihre eigene Mediennutzung Sorgen macht. Eltern können ihren Kindern signalisieren, dass sie sich an sie wenden können, wenn sie sich in Bezug auf Medienangebote und -nutzung unwohl, gestresst oder überlastet fühlen. Ein vertrauliches Hilfsangebot finden junge Leute zum Beispiel bei JUUUPORT, wo sie sich online auf Augenhöhe von jungen ExpertInnen beraten lassen können.