„Betroffene mit dem Hass nicht alleine lassen“ – 5 Fragen an Anna-Lena von Hodenberg

Interview

Abseits von Likes, Herzen und Zuspruch sammelt sich auf Online-Plattformen auch Hass. In Kommentarspalten oder über Direktnachrichten wird beleidigt und gedroht. Betroffene müssen damit nicht alleine fertig werden: Die Organisation HateAid unterstützt Menschen, die Opfer von Hass und Hetze im Netz geworden sind. Wir haben mit der Leiterin Anna-Lena von Hodenberg über den Umgang mit Hate Speech im Netz gesprochen.

Grafik mit Portrait von Anna-Lena von Hodenberg und ihrem Beruf als Leiterin der Initiative HateAid
Grafik: SCHAU HIN!; Bild: Andrea Heinsohn Photography

Das Thema Hassrede wird immer größer – Tragen die Medien zu einer stärkeren Wahrnehmung bei oder wächst die Problematik tatsächlich immer mehr?

Digitale Gewalt – die neben Hassrede beispielsweise auch Beleidigung, Bedrohung, Erpressung oder Cybermobbing umfasst – ist ein Problem für die gesamte Gesellschaft. Immer mehr Bereiche unseres täglichen Lebens haben sich inzwischen ins Netz verlagert, im letzten Jahr sogar der Schulalltag und ein großer Teil der Freizeitaktivitäten. Soziale Teilhabe ist ohne das Internet kaum noch möglich. Das macht umso fataler, dass die Gewalt im Netz zugenommen hat: Insbesondere seit Beginn der Pandemie erhalten wir bei HateAid deutlich mehr Beratungsanfragen als zuvor. Die Angriffe sind schneller und auch heftiger geworden. Besonders jüngere Menschen sind davon betroffen, wie eine Untersuchung des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft von 2019 zeigt: 73 Prozent der Befragten zwischen 18 und 24 Jahren gaben an, bereits Hasskommentare im Internet gesehen zu haben, 17 Prozent waren bereits persönlich betroffen. Das ist eine ganze Generation, die bereits mit der gewaltvollen Sprache im Netz aufwächst.

 

Wie wirkt sich Hate Speech auf Kinder und Jugendliche aus, die selbst betroffen sind oder Hassrede im Netz miterleben?

Angriffe im Netz erreichen uns durch Laptop und Smartphone rund um die Uhr in unserem eigenen Zuhause – und das vor einem potenziell riesigen Publikum. Der Hass ist dann plötzlich überall dort, wo wir sind und macht auch vor Feierabend und Schulschluss keinen Halt. Das hat massive Auswirkungen auf Betroffene, insbesondere auf Kinder und Jugendliche: Sie erleben den Umgang online bereits als „das neue Normal“ und lassen sich oftmals mehr gefallen als Erwachsene. Wenn sie von Hass und Cybermobbing betroffen sind, kann das soziale Isolation, vermindertes Selbstwertgefühl, Depressionen oder selbstverletzendes Verhalten zur Folge haben. Doch Kinder und Jugendliche können auch selbst zu TäterInnen werden, wenn ein solches Verhalten im Netz nicht sanktioniert wird. Diese Entwicklung dürfen wir nicht ignorieren, hier kommt es auf gute Unterstützungsangebote an.

 

Unter welchen Voraussetzungen handelt es sich bei Hate Speech um eine Straftat?

Wenn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder (vermeintlichen) Herkunft diskriminiert, angefeindet und beleidigt werden, sprechen wir von Hassrede oder auch Hate Speech. Darunter fallen also etwa rassistische oder antisemitische Kommentare – und die können durchaus strafbar sein. Wer volksverhetzende Inhalte in sozialen Netzwerken postet, kann in Deutschland etwa mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen. Neben Hassrede gibt es aber noch weitere Formen digitaler Gewalt, die strafrechtlich relevant sein können: etwa Straftaten gegen die persönliche Ehre wie Beleidigung und üble Nachrede, Cybermobbing sowie das unaufgeforderte Versenden von Dickpics (= meist unfreiwillig erhaltene Penisbilder).

 

 Welche rechtlichen Schritte stehen Betroffenen zur Verfügung und wie können sie Unterstützung bekommen?

Wer schon einmal einen beleidigenden Kommentar bei Facebook oder Twitter gemeldet hat, kennt es vermutlich: Oft bleibt der Inhalt trotzdem gut sichtbar für alle im Netz stehen, da er nicht gegen die Community-Standards verstoße. Doch das Netz ist kein rechtsfreier Raum, auch hier gelten Gesetze. Leider werden diese durch die Wirtschaftsunternehmen nur sehr willkürlich umgesetzt. Es ist daher ratsam, auch andere Wege der Rechtsdurchsetzung in Betracht zu ziehen. Ein erster Schritt sollte immer sein, rechtssichere Screenshots zu machen und Strafanzeige zu erstatten. Das geht beispielsweise bei der örtlichen Polizeidienststelle oder Staatsanwaltschaft, in den meisten Bundesländern sogar online. Gegen Beleidigungen und Bedrohungen können Betroffene auch zivilrechtlich vorgehen und die Löschung der jeweiligen Inhalte oder eine Geldentschädigung erwirken. Solche Prozesse dauern allerdings bis zu einem Jahr und haben ein beträchtliches Kostenrisiko von nicht selten mehr als einem Monatsgehalt. Daher unterstützen wir bei HateAid Betroffene von digitaler Gewalt durch ein kostenloses Beratungsangebot und übernehmen in geeigneten Fällen die Kosten für eine anwaltliche Beratung und Vertretung sowie die Kosten des Gerichtsverfahrens.

 

Wie können (unbeteiligte) Dritte gegen Hate Speech vorgehen? In welchen Fällen ist Gegenrede sinnvoll und was gibt es dabei zu beachten?

Wenn wir beobachten, wie Menschen in aller Öffentlichkeit bedroht, beleidigt und verleumdet werden, braucht es unsere Solidarität – quasi digitale Zivilcourage. Dabei geht es nicht darum, die TäterInnen zu überzeugen oder zu bekehren. Sondern vielmehr darum, Betroffene mit dem Hass nicht allein zu lassen und den still Mitlesenden zu zeigen, dass diese Beiträge keinesfalls die Mehrheitsmeinung widerspiegeln. Dazu können wir eigene unterstützende Kommentare posten oder den Betroffenen direkte Nachrichten schicken, in denen wir unsere Solidarität ausdrücken. Wer sich regelmäßig für den öffentlichen Diskurs einsetzen möchte, kann das beispielsweise in der Facebook-Gruppe #ichbinhier tun. Im Falle von volksverhetzenden Inhalten können wir auch dann Strafanzeige erstatten, wenn wir nicht selbst betroffen sind. Wir alle haben in der Hand, wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen und welche Werte wir leben wollen – im analogen wie im digitalen Raum.

Anna-Lena von Hodenberg ist die Geschäftsführerin von HateAid. Die Beratungsstelle setzt sich gegen digitale Gewalt und für Aufklärung über ihre Gefahren für Demokratie und Meinungsfreiheit ein. Sie bietet Betroffenen digitaler Gewalt ein kostenloses Beratungsangebot und Prozesskostenfinanzierung.