„Nur wer informiert ist, kann sich auch schützen“ – 5 Fragen an Alina Prophet, Fachberatungsstelle Prostitution
InterviewBabysitter*in gesucht, Nachhilfe angeboten – viele Jugendliche möchten sich etwas dazuverdienen und suchen oder inserieren Nebenjobs auf Kleinanzeigenportalen. Dort finden sich allerdings auch Anzeigen zu sogenannten „Taschengeldtreffen“: sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung. Lassen Heranwachsende sich darauf ein, laufen sie Gefahr, in die Prostitution zu geraten. Und auch auf sozialen Netzwerken ist der Weg dahin kürzer, als viele Eltern und Kinder absehen können. Warum es so wichtig ist, darüber aufgeklärt zu sein, wenn Heranwachsende sich im Netz bewegen, hat uns Alina Prophet von der Fachberatungsstelle Prostitution der Diakonie Hamburg berichtet. Diese betreut das Präventionsprojekt „FairLove“.
Auf Kleinanzeigenportalen finden sich Annoncen zu sogenannten „Taschengeldtreffen“ mit Heranwachsenden im Teenageralter. Was genau steckt dahinter?
Taschengeldtreffen sind Treffen, bei denen sexuelle Dienstleistungen gegen ein „Taschengeld“ als Honorar angeboten werden. Sie werden meist im Internet auf Kleinanzeigenportalen inseriert. Nicht immer sind die Menschen volljährig, die diese Treffen anbieten. Jugendliche erhoffen sich davon, Geld dazuzuverdienen. Bei dieser Form der Treffen handelt es sich um Prostitution, auch wenn dies nicht explizit benannt wird und sich die Anbietenden häufig nicht als Prostituierte bezeichnen. Der Begriff verharmlost/verniedlicht, was es eigentlich ist – Prostitution. Wir als Beratungsstelle sehen ein hohes Gefahrenpotential in diesen Treffen, da es keine Kontrolle und demnach auch keinen Schutz von Seiten der entsprechenden Portale gibt, sodass Minderjährige sich dort problemlos anmelden und inserieren können. Taschengeldtreffen finden in einem weniger „professionellen“ und daher ungeschützten Rahmen statt, also meist draußen, in Autos oder bei den Kund*innen zu Hause, was natürlich einige Gefahren für die Jugendlichen birgt. Es kann beispielsweise zu Übergriffen, Vergewaltigungen oder einer Zahlungsverweigerung kommen. Diese Gefahren sind den Jugendlichen häufig nicht bewusst. Da zudem die meisten Jugendlichen niemandem von diesen Treffen erzählen, ist ihr Aufenthaltsort unbekannt und somit kann niemand im Notfall die Polizei benachrichtigen.
In Deutschland ist die Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen von Minderjährigen gegen Entgelt verboten. Kund*innen machen sich also strafbar.
Inwiefern findet die Suche oder die Vermittlung der Treffen auch in sozialen Netzwerken statt?
Unserer Erfahrung nach spielen soziale Medien eine große Rolle bei der Kontaktaufnahme. Auch die Suche oder Vermittlung der Treffen findet häufig auf Plattformen wie Instagram statt. Auch hier ist die Gefahr groß, dass Minderjährige sexuelle Dienstleistungen anbieten können, ohne von außen kontrolliert und geschützt zu werden. Auch Eltern haben häufig keine Informationen über die Aktivitäten ihrer Kinder auf sozialen Netzwerken, sodass erwachsene Nutzer*innen mit gefährlichen Hintergedanken dort leichtes Spiel haben. Immer wieder kommt es im Internet sogar zu gezielter Kontaktaufnahme von Zuhältern zu jungen Frauen* und Mädchen*. Die Betroffenen können dabei nicht erkennen, dass es sich bei der neuen Internetbekanntschaft um einen Zuhälter handelt: Sogenannte „Loverboys“ geben sich als netter, junger Mann* aus, der das jeweilige Mädchen* ganz normal kennenlernen will.
Was genau hat es denn mit der „Loverboymethode“ auf sich und wie gehen Täter vor?
Loverboys sind (junge) Männer*, die gezielt zu Mädchen* und jungen Frauen* eine Liebesbeziehung aufbauen mit dem Ziel, diese in die Prostitution zu zwingen (und mit ihnen Geld zu verdienen). Dies passiert in Discotheken, der Schule sowie vermehrt in den sozialen Netzwerken (Instagram und Co.). Die Loverboys geben sich als der perfekter Freund aus – sie sind verständnisvoll, kümmern sich und sagen und zeigen dem Mädchen*, dass sie die Einzige, die Schönste und die perfekte Frau* ist. Im Hinterkopf haben sie jedoch von Anfang an das klare Ziel, das Mädchen* emotional von sich abhängig zu machen und sie dann in die Prostitution zu bringen.
Die Pubertät und die damit einhergehenden Unsicherheiten und Konflikte (in der Schule, mit Freund*innen/Familie, Unsicherheiten bezüglich des eigenen Körpers, der Optik oder der Sexualität) nutzen die Loverboys aus und schaffen es so, die emotionale Abhängigkeit aufzubauen. Zu ihrer Taktik gehört es, teure Geschenke und Komplimente zu machen und das Mädchen* von Freund*innen und Familie zu isolieren.
Irgendwann kommt der „Bruch“ und sie täuschen beispielsweise eine finanzielle Notsituation vor und bitten das Mädchen* um Hilfe. Die vermeintlich einzige Lösung ist, dass das Mädchen* sich prostituiert. Dies alles tut sie nach der Argumentation für die gemeinsame Zukunft, z.B. für die gemeinsame Wohnung. Mit gezielter Manipulation, teilweise unter Zuhilfenahme von Drogen sowie psychischer und physischer Gewalt, schaffen sie es, dass das Mädchen* tut, was sie verlangen. Die Mädchen* gehorchen aus Angst, aus Scham und aus Liebe – schließlich ist er ihr Traumprinz. Selten bringen die Betroffenen dieses Vorgehen zur Anzeige, die Dunkelziffer ist sehr hoch. Loverboys handeln gezielt, manchmal haben sie mehrere Mädchen*, die für sie arbeiten. Dieses Vorgehen ist manipulativ und berechnend und hat nichts mit Liebe oder Gefühlen zu tun.
Diese gezielte Manipulation ist eine Form von Menschenhandel und strafbar in Deutschland.
Was können für Eltern Anzeichen sein, dass ihr Kind betroffen ist? Und wenn sie Anzeichen bemerken, wie gehen sie am besten vor?
Anzeichen können beispielsweise Veränderungen im Verhalten oder der Optik des Kindes sein. Beispielsweise, wenn Mädchen* plötzlich eine veränderte oder stark sexualisierte Optik aufweisen, zwei Handy besitzen, sich immer mehr zurückziehen, den Kontakt mit Familie und Freund*innen meiden, die Schule schwänzen, eventuell Drogen konsumieren, nicht mehr nach Hause kommen, Spuren körperlicher Gewalt aufweisen oder starke Stimmungsschwankungen haben. Dies sind nur einige Anzeichen, die Änderungen im Verhalten können sehr individuell sein und dem Umfeld wenig bis gar nicht auffallen Zudem können alle diese Anzeichen auch „normale“ Veränderungen in der Pubertät sein oder auf andere Problematiken hinweisen. Häufig zeigen Betroffene jedoch lange keine Anzeichen von Veränderung, die Tochter führt ein regelrechtes Doppelleben, sodass die Familie und das Umfeld lange nichts davon mitbekommen und denken, dass die Tochter einfach einen neuen Freund hat. Wenn Eltern jedoch Anzeichen bemerken oder unsicher sind, ist es sinnvoll, sich von einer Beratungsstelle zu dieser Thematik beraten zu lassen, da das Thema natürlich mit einer großen Belastung, Verzweiflung und Ohnmacht einhergeht. In Deutschland gibt es mehrere Beratungsstellen, die sich mit der Loverboymethode auskennen, auf der Website des KOK kann man sich über Inhalte und Mitglieder informieren.
Wie und ab welchem Alter sollten Eltern mit ihren Kindern über diese Themen sprechen?
Sinnvoll ist es, wenn Eltern frühzeitig mit ihren Kindern über diese Themen sprechen, besonders, wenn die Kinder in den sozialen Medien aktiv sind. Nur wer informiert und aufgeklärt ist, kann sich auch schützen. Daher ist unser Ziel, auch Jugendliche präventiv zu erreichen, indem wir sie über die Loverboymethode aufklären und für die Thematik sensibilisieren, damit sie im besten Fall erst gar nicht zu Betroffenen werden oder gewisse Warnzeichen bei andern erkennen können. In diesem Rahmen sind Themen wie Beziehungen (was wünsche ich mir von einer Beziehung, was sind gute/gesunde Beziehungen und was sind Anzeichen für toxische Beziehungen, wann sollte ich aufmerksam sein/mich trennen?), Grenzen (eigene Grenzen erkennen, diese benennen und auch wahren, lernen „nein“ zu sagen, auf sich zu hören) und Selbstbewusstsein (Selbstwertgefühl, Selbstliebe) ebenfalls wichtig, da dies der Grundstein ist, der Jugendliche stärkt und vor einer gewaltvollen Beziehung wie beispielsweise mit einem Loverboy schützen kann. Wann genau der richtige Zeitpunkt dafür ist, müssen Eltern individuell mit ihrem Kind entscheiden. Unserer Erfahrung nach ist es jedoch sinnvoll, ab einem Alter von ca. zwölf Jahren damit (in einer altersgerechten Art und Weise) zu beginnen.