Virtual Reality: Die Zukunft des Gamings? – 5 Fragen an Prof Dr. Thorsten Quandt und Dr. Felix Reer

Interview

Die Virtual-Reality-Brillen, mit denen NutzerInnen in eine digitale Umgebung eintauchen können, sind längst keine Zukunftsmusik mehr. Viele beschreiben währenddessen das Empfinden, tatsächlich Teil einer virtuellen Welt zu sein: Dieses Gefühl wird als Immersion bezeichnet. Doch was passiert mit Kindern und Jugendlichen in den VR-Welten? Prof. Dr. Thorsten Quandt und Dr. Felix Reer beschäftigen sich am Virtual Reality und Game Lab der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit der Nutzung und Wirkung hoch-immersiver Medien und technologischer Innovationen. Wir haben mit den beiden Wissenschaftlern über Heranwachsende und Virtual Reality gesprochen.

Grafik mit dem Portrait von Prof. Dr. Thorsten Quandt und Dr. Felix Reer mit der Nennung des Insitituts für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Bild (Quandt): privat/Bild (Reer): Susanne Lüdeling/Grafik: SCHAU HIN!

In welchem Rahmen interagieren Kinder bereits mit „Virtual Reality“-Technologien?

Thorsten Quandt: Allgemein kommen viele AnwenderInnen über das Gaming mit Virtual Reality-Technologien in Kontakt. Und dies trifft für Kinder sicher umso mehr zu.

Felix Reer: Es gibt auch bereits einige Spiele, die inhaltlich eher jüngere NutzerInnen ansprechen. Beachtet werden sollte aber, dass einige Hersteller von VR-Systemen Altersempfehlungen geben, die eine Nutzung durch jüngere Kinder ausschließt. So gibt z.B. Sony für das Playstation VR-System ein Mindestalter von zwölf Jahren an, für Konkurrenzprodukte wie die Oculus Quest 2 liegt die Altersempfehlung sogar bei 13 Jahren.

 

In den Medien wird in Bezug auf VR häufig die Gefahr diskutiert, sich in der virtuellen Welt zu verlieren. Sehen sie bei „Virtual Reality“-Games ein höheres Risiko von exzessiver Mediennutzung oder -abhängigkeit?

Felix Reer:  VR-Spiele sind derzeit noch nicht weit genug verbreitet, als dass sich dies schon abschließend beurteilen lassen würde. Was sich sagen lässt, ist, dass eine Flucht vor psychosozialen und Alltagsproblemen durch Games (allerdings auch durch andere Medienangebote) zumindest langfristig problematisch sein kann. Und dies gilt zunächst ganz unabhängig davon, ob über ein VR-System, ein Tablet, ein Smartphone oder ein klassisches TV- oder PC-Display gespielt wird. Allerdings zeigen repräsentative Studien auch recht eindeutig, dass eine solche problematische Nutzung von Games dauerhaft nur einen eher kleinen Prozentsatz der SpielerInnen betrifft.

Thorsten Quandt: Allgemein ist unser Eindruck, dass die derzeitig verfügbaren VR-Brillen sich eher nicht für eine sehr lange Nutzungszeit eignen. Wer so ein System schon einmal ausprobiert hat, wird bestätigen, dass man schnell unter der Brille schwitzt und das Ganze rasch etwas anstrengend werden kann. Manchen NutzerInnen wird auch übel und sie leiden unter der sogenannten „Cybersickness“ wenn sie solche Systeme nutzen. Schon alleine aus diesen praktischen Gründen scheint es zumindest fragwürdig, ob aktuelle VR-Systeme sich für eine tage- und nächtelange exzessive Nutzung aufdrängen. Aber auch hier muss man sicher die zukünftigen technischen Entwicklungen abwarten.

 

Wegen der Immersion, dem „Eintauchen“, gehen viele WissenschaftlerInnen bei VR von einem größeren und länger andauernden Einfluss auf das Verhalten und die Einstellungen von Menschen aus als durch andere Medien. Ist die Medienwirkung von VR auf Menschen mit wenig Medienkompetenz (z.B. Kinder) verstärkt? 

Thorsten Quandt: Es liegt auf der Hand, dass Menschen mit einer geringen Medienkompetenz bei der Nutzung von digitalen Medien größeren Gefahren ausgesetzt sind. Dies dürfte bei der Nutzung von VR genauso zutreffen, wie bei der Nutzung von Social Media oder dem Smartphone.

Felix Reer: Bei VR kommt dann sicherlich noch hinzu, dass man das in der virtuellen Welt Erlebte als sehr viel realistischer und direkter empfindet, als dies bei der Nutzung klassischer Medientechnologien wie z.B. dem Fernsehen der Fall ist. Dies könnte unter Umständen dazu führen, dass es NutzerInnen schwerfällt, sich kognitiv von den Inhalten zu distanzieren.

Thorsten Quandt: Auch aus diesem Grund sind VR-Brillen unserer Meinung nach eher nicht für jüngere Kinder zu empfehlen. Wie bei allen Medienangeboten sollten Eltern die Altersempfehlungen bei VR-Games auf jeden Fall beachten. 

 

Kann das Aufwachsen mit Virtual Reality auch Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten oder das Denken von uns Menschen besitzen? 

Felix Reer: Zu klassischen Computerspielen gibt es einige Studien, die Hinweise darauf liefern, dass die Nutzung bestimmter Spiele mit höheren Werten bei bestimmten kognitiven Fähigkeiten verbunden ist. Beispielsweise konnten einige Studien zeigen, dass GamerInnen mitunter über eine schnellere visuelle Verarbeitungsfähigkeit verfügen. Auch positive Zusammenhänge zwischen Games-Nutzung und motorischen Fähigkeiten konnten schon festgestellt werden.

Thorsten Quandt: Beachten muss man dabei allerdings, dass es sich zum Teil um korrelative Studien handelt. Bei dieser Art von Studien bleibt es letztlich unklar, ob die besseren kognitiven und motorischen Fähigkeiten von Gamern wirklich ein Ergebnis des regelmäßigen Spielens sind oder ob es nicht einfach so ist, dass Personen mit bestimmten Fähigkeiten besonders gerne Computerspiele nutzen.

Zu VR-Games besteht in diesem Bereich sicher noch weiterer Forschungsbedarf. 

 

Was sind die Chancen von Virtual Reality? Welche Entwicklungen und Einsatzgebiete würden Sie für die Zukunft begrüßen? 

Felix Reer: Neben dem Gaming gibt es zahlreiche weitere interessante Einsatzgebiete für VR. Beispielsweise werden VR-Technologien vereinzelt schon im Rahmen von Psychotherapien eingesetzt. Man kann sich vorstellen, dass es sehr viel weniger umständlich ist, eine Flugangst im Rahmen einer VR-Exposition zu therapieren, als in einem echten Flugzeug. Auch für bettlägerige PatientInnen und im Kontext von Schmerz- und Traumatherapien gibt es Überlegungen, VR-Technologien zu nutzen.

Thorsten Quandt: In der Kommunikationswissenschaft und Medienpsychologie wird derzeit viel diskutiert und untersucht, ob sich mit VR-Inhalten Empathie und prosoziales Verhalten fördern lassen. VR wird in diesem Zusammenhang auch gerne als „Empathie-Maschine“ bezeichnet, weil die Technologie ein sehr viel intensiveres Hineinversetzen in die Situation der dargestellten Personen ermöglicht.

Felix Reer: Auch zum Thema Nachhaltigkeit gibt es erste spannende Forschungsansätze. Die Idee ist dabei, dass sich mit VR-Technologien besonders gut und anschaulich auf Probleme wie den Klimawandel aufmerksam machen lässt. Für NutzerInnen von entsprechend gestalteten VR-inhalten können dann z.B. Klimaschäden wie die Übersäuerung der Ozeane und deren Auswirkungen direkt erfahr- und erlebbar gemacht werden. Eine Gruppe von ForscherInnen um den amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Jeremy Bailenson von der Universität Stanford ist in diesem Bereich sehr aktiv. 

Prof. Dr. Thorsten Quandt ist Leiter des Virtual Reality und Game Lab am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität. Dr. Felix Reer ist Post-Doktorand an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und derzeitiger Vice-Chair der Digital Games Research Section in der European Communication Research and Education Association.