„Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg auch keinem andern zu.“ – 5 Fragen zu Privatsphäre und Kontrolle

Interview

Bekommt das Kind das erste eigene Smartphone, begeben sich Eltern auf einen schmalen Pfad zwischen Kontrolle und Vertrauen. Wo liegen ihre Grenzen – wo ihre Pflichten? Wir haben Cornel Ehrentraut, Fachanwalt für Familienrecht bei Rechtsanwälte Busch · Schneider Partnerschaftsgesellschaft, gefragt.

5 Fragen 5 Antworten an Rechtanwalt für Familienrecht Cornel Ehrentraut Busch, Schneider Partnergesellschaft, Neuss
Grafik: SCHAU HIN!, Bild: Cornel Ehrentraut

Vorbemerkung von Cornel Ehrentraut: Die fünf Interviewanfragen habe ich vorab mit meiner Tochter im Teenager-Alter besprochen, um deren „Wertung aus der Laiensphäre“ als unmittelbar Betroffene einzuholen. Es kamen gute und nachvollziehbare Antworten, die schon im Einklang mit der Rechtslage stehen. Alter, Einsichtsfähigkeit und Achtung der Privatsphäre – hier besonders der eigenen, aber auch der Chat-PartnerInnen – wurden als wesentliche Punkte von ihr herausgestellt. Es wird daher allen Eltern empfohlen, gerade beim Thema Mediennutzung, in unmittelbaren Dialog mit ihrem Kind zu treten.

Mittels Jugendschutz-Software müssen Eltern ihren Kindern heutzutage nicht einmal das Handy aus der Hand nehmen, um zu sehen, was ihre Kinder im Netz machen. Dürfen Eltern die Handys ihrer Kinder überwachen? Besteht eine Aufsichtspflicht im Netz?

Hier ist zwischen „Überwachung“ und „Aufsicht“ klar zu differenzieren. Eine Überwachung kann es nur in einem von „Über-Unterordnung“ geprägten Herrschaftsverhältnis geben. Unser deutsches Familienrecht geht aber von einem partnerschaftlichen Familienbild aus. Natürlich gibt es auch in einer Partnerschaft auszuhandelnde Grenzen, die eingehalten werden wollen. Hier empfehle ich, einen Mediennutzungsvertrag abzuschließen:
Im Rahmen der „Aufsicht“ haben Eltern gemäß § 1626 Abs. 1 BGB einen Förderungs- und Erziehungsauftrag gegenüber dem Kind. Sie sollen es begleiten und fördern, auch in der Mediennutzung, welche sie – im Bedarfsfalle – zu gewährleisten haben. Eltern können Medien wie Smartphone, Spielkonsole oder PC altersgerecht zu erlauben, aber gleichzeitig den Nutzungsumfang bestimmen. Dazu gehört nicht, die Korrespondenz über Messenger-Dienste, wie WhatsApp o.ä., zu überwachen. Hier ist die Intimsphäre des Kindes zu achten, wie es bei Tagebucheinträgen oder bei Briefwechseln selbstverständlich erscheint. Dass Eltern auf besorgniserregende Umstände wegen dieser Beschränkung des Kontrollrechts möglicherweise erst zu einem Zeitpunkt aufmerksam werden, da bereits eine Schädigung des Kindes eingetreten sein kann, mag Anlass zur Sorge geben, rechtfertigt aber nicht die Zubilligung einer anlasslosen Kontrolle der digitalen Aktivitäten ihrer Kinder.
Allen besorgten Eltern sei gesagt, dass sie bei ihren Kindern auf konkrete Anhaltspunkte achten mögen. Auf Verhaltensauffälligkeiten, wie sozialem Rückzug, Niedergeschlagenheit, Appetitlosigkeit und Schlafstörung oder psychische Labilität. Erst dann kann es im Sinne eines partnerschaftlichen Familienbildes geboten sein, gemeinsam und mit Einwilligung des Kindes die Inhalte zu klären – d.h. ggfs. auch die Polizei einzuschalten.

Nicht nur in ihrem digitalen, sondern auch im analogen Umfeld können Kinder von ihren Eltern mittels GPS geortet werden. Einigen Eltern scheint das Sicherheit zu geben, doch ist es auch rechtlich erlaubt? Wo sind die Grenzen?
Hier gilt das oben gesagte, dass die Familie als partnerschaftliches Modell auf Augenhöhe anzusehen ist, in dem sich eine voraussetzungs- und ansatzlose Überwachung mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde des Kindes verbieten sollte. Wird dies missachtet und das Kind – ohne sein Wissen – auf Schritt und Tritt getrackt, so kann das Kind vor dem Familiengericht auf Unterlassung klagen. Zugestanden, ein wohl eher theoretischer Fall mit Ausnahmecharakter, da das Kind dieses Verfahren gegen die eigenen Eltern führen müsste und in Ermangelung einer eigenen Prozessfähigkeit eines Ergänzungspflegers bedürfte.
Liegt eine Einwilligung des Kindes vor, ist ein Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen und damit das Persönlichkeitsrecht des Kindes gerechtfertigt. Zur Erteilung der Einwilligung benötigt das betroffene Kind jedoch zunächst die entsprechende Einsichtsfähigkeit, woran es bei Kindern im Grundschulalter regelmäßig fehlen dürfte. Aber auch bei älteren Kindern ist fraglich, ob diese die Tragweite ihrer Einwilligung im Fall einer GPS-Ortung richtig einschätzen und bewerten können. Jedenfalls für ältere Kinder gilt, dass sie einer einmal eingerichteten Ortung ihres Mobiltelefons jederzeit widersprechen können. Sollten die Eltern dem Widerspruch nicht Folge leisten, stünde der o.g. Anspruch – jedoch nur mit seinen prozessualen Schwächen – auf Unterlassung zur Seite.
Es kann andererseits natürlich triftige Gründe geben eine Ortung des Kindes vorzunehmen,  beispielsweise wenn es sich um ein Kind mit geistiger oder körperlicher Behinderung handelt, das im Bedarfsfalle auf Hilfe und Unterstützung durch die Eltern oder durch Dritte angewiesen wäre. Auch kann eine GPS-Ortung sinnvoll sein, wenn sich das minderjährige Kind selbständig auf Reisen macht. Aber auch hier gilt, dass im Vorfeld eine Absprache und eine (widerrufliche) Einwilligung des Kindes eingeholt werden sollte. Insgesamt muss gelten, dass von Funktionen oder Apps zur Ortung auf dem Smartphone des eigenen Kindes nur in ganz eingeschränktem Maße und nicht ohne triftigen Grund Gebrauch gemacht werden sollte. Dies sollte immer im Zusammenwirken mit dem Kind geschehen.

Ob Eltern Bilder ihrer Kinder ins Netz stellen dürfen und wenn ja wie, wird derzeit immer wieder diskutiert. Was aber, wenn Kinder Fotos von sich ins Netz stellen möchten, mit denen die Eltern nicht einverstanden sind? Haben Kinder das Recht, sich im Internet zu zeigen, wenn sie es möchten?
Kinder sind selbst Grundrechtsträger! Sie haben damit die Befugnis, über ihr Recht am eigenen Bild gem. § 22 KUG (Kunsturhebergesetz) selbst zu bestimmen, jedenfalls dann, wenn sie die Einsichtsfähigkeit in ihr Tun und Handeln besitzen. Gerade jüngeren Kindern, aber auch Kindern im Teenager-Alter, kann diese Einsichtsfähigkeit fehlen bzw. „zeitweise abhandenkommen“, sei es in Zeiten der spontanen Verliebtheit, weil sie sich von Foto-Postings eine Vergünstigung erhoffen oder weil sie unachtsam agieren. Auch hier gilt, dass die eigenen Kinder im Dialog mit den Eltern oder durch die Schule dafür sensibilisiert werden sollten, was noch als „ästhetisch“ vertretbar gilt und was bereits die Schwelle zur Geschmacklosigkeit, Beleidigung oder Pornografie überschreiten würde.
Kindern ist bewusst zu machen, welchem NutzerInnenkreis sie sich öffnen und zeigen. Hier bestehen erhebliche Unterschiede zwischen öffentlichen Social-Media-Plattformen, wie Facebook, Instagram und Co., und Messenger-Diensten, wie WhatsApp, Threema, Snapchat u.a.. Während Kinder bei Letzteren noch den Kreis der potenziellen EmpfängerInnen geradeso abschätzen können, besteht bei den Socia-Media-Plattformen die Gefahr, dass die Fotos einem unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden können. Auch eine Beschränkung auf „Freunde von Freunden“ ist hier mit Vorsicht zu genießen, da dies schnell einen Personenkreis von mehr als 10.000 NutzerInnen erreichen kann.
Sind einmal doch unangemessene Bilder des eigenen Kindes ins Netz gelangt, bestehen Ansprüche auf Löschung von unbeabsichtigten Postings über einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des betroffenen Kindes. Gesetzlich vertreten gegenüber dem jeweiligen Netzwerkbetreiber nach § 1004 BGB analog, wird das Kind durch die sorgeberechtigten Eltern. Dabei können besonders dann Schwierigkeiten entstehen, wenn der Netzwerkbetreiber im Ausland ansässig ist. Diese Umstände sollen an dieser Stelle nicht vertieft werden, aber doch als ausdrückliche Warnung gelten.

Nach Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind ein Recht auf Bildung. Umfasst das auch digitale Bildung? Lässt sich daraus schließen, dass jedes Kind ein Recht auf Zugang zum Internet hat?
Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention beschränkt sich auf den Zugang zu Bildung im Allgemeinen und meint in erster Linie den Zugang zu analogen Bildungsquellen, die in der Schule zur Verfügung gestellt werden. In Zeiten von „Corona“ hat sich gezeigt, wie wichtig darüber hinaus eine Forderung nach digitalem Bildungszugang ist. Diesen digitalen Zugang müssen derzeit aber noch die Eltern – meist – in Eigenverantwortung und mit eigenen finanziellen Mitteln sicherstellen. Hinreichende Ausstattung mit entsprechender Hardware und Internetzugang wird immer mehr zum „Wettbewerbsvor- oder auch -nachteil“ im Bereich der Bildung.  Eine Forderung nach Zugang zu digitaler Bildung mit entsprechender staatlicher Unterstützung, aber auch eine Art „sponsoring“ aus der freien Wirtschaft, ist daher aus meiner Sicht unbedingt unterstützenswert.

Angenommen die Elternteile eines Kindes, ungeachtet dessen, ob getrennt oder zusammenlebend, folgen unterschiedlichen Ansichten und Zielen hinsichtlich ihrer Medienerziehung (z.B. Bildschirmzeiten, Ansichten über Computerspiele etc.) – wer hat im Zweifelsfall das letzte Wort? Wonach wird entschieden?
Es kommt zunächst darauf an, wem das Sorgerecht für das betroffene Kind zusteht.
Steht es einem Elternteil allein zu, entscheidet dieser im Grundsatz über die Mediennutzung des Kindes allein. Dem anderen Elternteil steht es dann nur zu, missbräuchliche und damit kindeswohlgefährdende Nutzung – beispielsweise dem Jugendamt gegenüber – anzuzeigen. Die  Überprüfung ist in der Realität allerdings schwierig und damit eher die Ausnahme.
Steht den Eltern die Sorge über das Kind gemeinsam zu, sollten Sie gemeinsame Erziehungsziele über den Bereich der digitalen Mediennutzung erreichen. Ist dies nicht möglich, so kann sich ein Elternteil im Streitfall nach § 1628 BGB die Übertragung dieses Teilbereichs der elterlichen Sorge beim Familiengericht zur alleinigen Entscheidung übertragen lassen. Dies setzt voraus, dass dem Kind selbst die entsprechende Einsichtsfähigkeit fehlt, es somit Argumenten nicht zugänglich ist und es die Nutzung selbst nicht einschränken kann sowie dass die uneingeschränkte Nutzungserlaubnis durch den anderen Elternteil zugleich eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind ist. Es wird also nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu prüfen sein, inwieweit die uneingeschränkte Nutzung schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat oder haben kann.
Im Zweifel wird von einer Erheblichkeit der Angelegenheit auszugehen sein. So zum Beispiel bei uneingeschränkter Nutzungszeit von Spielkonsolen, Smartphone aber auch TV. Bei Nutzung von Spielen, die nicht der Altersempfehlung der USK entsprechen, oder Teilnahme an „Single- oder Partnerbörsen“ als Minderjährige/r.
Sollte im gerichtlichen Kontext keine Einigung über die Nutzung zu erzielen sein, wird dem Elternteil der Teilbereich der elterlichen Sorge zugesprochen, der den Schutz des Kindes am besten gewährleisten und es damit am besten fördern kann.

Disclaimer: „Informationen in diesem Artikel dienen lediglich zu Informationszwecken und stellen u.a. die persönliche Meinung des Verfassers dar. Sie stellen keine Rechtsberatung dar. Sie können insbesondere keine individuelle rechtliche Beratung ersetzen, welche die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt. Es wird kein Gewähr dafür übernommen, dass im Streitfall den hier dargelegten Urteilen und Ansichten gefolgt wird.“

Cornel Ehrentraut ist Fachanwalt für Familienrecht bei „Rechtsanwälte Busch · Schneider Partnerschaftsgesellschaft“.