Medialer Körperkult – gefährliche Ideale

Heranwachsende sind in ihrem Körperbild, insbesondere in der (vor-)pubertären Zeit, noch nicht gefestigt. Daher sind sie auf der Suche nach Vorbildern und Orientierungshilfen und greifen hier stark auf die Medienwelt zurück. Sie eifern medialen Figuren der Unterhaltungsindustrie ebenso nach wie Gleichaltrigen. Dies beeinflusst die Art und Weise ihrer körperlichen Selbstinszenierung auf Sozialen Netzwerken, z.B. mit Posts, Fotos und Videos. Modelshows im Fernsehen, Körpertrends auf Instagram und Schmink-Tutorials auf Videoportalen unterstützen eine dauerhafte Konzentration auf äußerliche Merkmale.

Ein Mädchen senkt denk Kopf, die Haar vor dem Gesicht.
Carolina Heza/Unsplash

Was ist medialer Körperkult: Vorbilder und NachahmerInnen

In zahlreichen Medienangeboten sind Kinder und Jugendliche mit stereotypen Körperbildern konfrontiert. Diese dienen Heranwachsenden als Kompass für ihr Körperbild. Vergleiche und Nachahmungsversuche wirken hier häufig wenig aufbauend, denn die aufwendig inszenierten Ideale sind oft kaum zu erreichen: Studien verweisen auf einen Zusammenhang zwischen persönlicher Unzufriedenheit mit dem Körper und hohem Medienkonsum.

Das Phänomen der körperlichen Selbstdarstellung und Inszenierung ist kulturell stark verankert und keine Erscheinung des digitalen Medienzeitalters. Auch gehört zur Kindheit sowie Jugend die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körperbild, mit Fragen der körperlichen Attraktivität und der Suche nach diesbezüglicher Rückmeldung aus dem sozialen Umfeld. Auch wenn Begeisterung für körperbezogene Ideale kein neuartiges Phänomen ist, erleichtern Soziale Medien die Inszenierung des eigenen Körper(bilde)s vor unterschiedlichen Öffentlichkeiten. Der stark persönliche Charakter von neuen Medien unterstützt das Abgleichen von Selbst- und Fremdbild noch stärker als sonst. Ständiger Zugriff auf die Netzwerke bewirkt, dass der Druck zur perfekten Selbstdarstellung dauerhaft anhält.

Medien verzerren Körperbilder

Bereits einige Kindermedien vermitteln falsche Körpervorstellungen: Eine Studie fand heraus, dass drei von vier Mädchenfiguren in Zeichentricksendungen einem Körper entsprachen, der proportional gesehen nicht dem eines Menschen entspricht. So ist das Verhältnis von Taille, Oberkörper und Beinen noch unrealistischer als bei einer Barbie-Puppe. Shows wie „Germany’s Next Topmodel“ können als Antrieb, Bestätigung und Rechtfertigung für ungesunde Körpervorstellungen wirken. Solche Formate stellen körperliche Ausnahmeerscheinungen als Norm dar und vermitteln, dass entsprechendes Aussehen mit Glück und Erfolg gleichzusetzen ist. Kultivierungsprozesse der Medien tun hier ihr Übriges: Es besteht das Risiko, dass Kinder und Jugendliche die verzerrte Medienrealität als Wirklichkeit ansehen.

Auf Netzwerken wie Instagram posten UserInnen Fotos zu verschiedenen Körpertrends. Dabei sind solche Bilder nicht zwangsläufig realitätsgetreu: Eine selektive Bildauswahl und der Einsatz von Bildbearbeitungsprogrammen schaffen eine verzerrte Konstruktion von Körperidealen. Das Selfie vieler NutzerInnen ist meist kein Schnappschuss, sondern professionell inszeniert. Über Echtzeit-Filter können sogar Videoaufnahmen verändert werden: Diese formen Körperproportionen und retouchieren das Gesicht so ausgefeilt, dass für andere NutzerInnen nicht erkennbar wird, dass ein Filter aktiviert ist. 
Die Inszenierung auf sozialen Netzwerken hat auch Einfluss darauf, wie NutzerInnen sich selbst online präsentieren: Das feste Repertoire an Posen, Gesten, Körperhaltungen und Blicken der InfluencerInnen ahmen Kinder und Jugendliche auf eigenen Bildern nach. Viele von ihnen machen sich Gedanken über Kommentare und Likes und bearbeiten deswegen auch eigene Fotos. Die körperbezogenen Korrekturen umfassen das Bleichen von Zähnen oder das Umformen von Gesicht und Körperteilen. Wer sich selbst online makellos präsentiert, kann unter Druck geraten, seinen selbstgeschaffenen Standards auch im realen Leben zu genügen. So kann es die eigene Unzufriedenheit noch verstärkt werden. Allein das Durchscrollen kann ein schlechtes Gefühl erzeugen. Bei manchen UserInnen führt die Inszenierung auf Instagram auch zu Verhaltensänderung, zum Beispiel dazu, mehr Sport zu treiben oder Diät zu halten. 

 

Problematische Communitys und Essstörungen

Unrealistische Körperinszenierungen und ungesunde Körperideale bergen das Risiko, dass Kinder und Jugendliche ihren eigenen Körper als mangelhaft empfinden. Eine geringe Zufriedenheit mit dem eigenen Körper hat nicht nur negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl, sondern kann krankhaftes Ess-Verhalten auslösen oder verstärken.

Besonders gesundheitsgefährdend sind Internetangebote (Profile, Blogs und Foren), die Essstörungen als erstrebenswerten Lifestyle verherrlichen. Mit verharmlosenden Abkürzungen wie „Pro-Ana“ (= Anorexia nervosa, Magersucht) und „Pro-Mia“ (= Bulimia nervosa, Ess-Brech-Sucht) glorifizieren sie ein krankhaftes Schlankheitsideal mit Parolen wie „Dünn sein ist wichtiger als gesund sein!“. Auf Pro-Ana-/Pro-Mia-Angeboten tauschen sich vorwiegend Essgestörte/essgestörte Jugendliche aus und bestärken sich u.a. mit gesundheitsgefährlichen Abnehmtechniken, Hungerwettbewerben und der Suche nach Abnehmpartnern bzw. -Gruppen (oftmals via WhatsApp) in ihrem krankhaften Essverhalten. Während die Angebote ein hohes Maß an Gemeinschaftsgefühl suggerieren und ein essgestörtes Verhalten bestätigen sowie verstärken, potenziert sich eine verzerrte Körperwahrnehmung umso leichter.

Abnehm-Coaches: Risiko Cybergrooming

Über problematische Communities können Kinder und Jugendliche mit selbsternannten „Mager-Coaches“ in Kontakt kommen. Hinter solchen Social-Media-Profilen stecken meist Männer, die vorgeben, den jungen NutzerInnen beim Abnehmen zu helfen – und pädokriminelle Hintergedanken haben. Sie treiben die Heranwachsenden mit strikten Vorgaben immer weiter in ein ungesundes Essverhalten. Dabei fordern sie Nacktfotos von den Minderjährigen als Beweis der Gewichtsabnahme ein und erlegen ihnen Strafen auf, wenn ihre Anweisungen nicht eingehalten werden. Wollen die jungen NutzerInnen aussteigen, drohen die Mager-Coaches mit Veröffentlichung der bereits gesendeten Bilder. Dieses Vorgehen stellt eine spezielle Form von Cybergrooming dar. Durch Sicherheitseinstellungen können Kontaktrisiken vorgebeugt werden. 

Filterblase Körperkult

Viele soziale Netzwerke schlagen ihren UserInnen Beiträge auf Basis eines Algorithmus vor, der ihr Nutzungsverhalten analysiert und Inhalte auswählt, die scheinbar zu ihren Interessen passen. Bei Instagram finden sich vorgeschlagene Beiträge im Abschnitt „Explore“, bei TikTok auf der „For You Page“. Wenn Kinder und Jugendliche in den Netzwerken mit Beiträgen interagieren, deren Inhalt mit Körperkult in Verbindung steht, oder diese auch nur intensiver anschauen, besteht das Risiko, von der Sogwirkung des Algorithmus thematisch noch stärker in eine gefährliche Richtung gezogen zu werden. Oft passiert das nicht einmal beabsichtigt: Junge NutzerInnen können über viele verschiedene Themen wie gesunde Rezepte oder Sport in sogenannte Filterblasen geraten. So werden nach und nach problematische Körperbilder immer präsenter in ihrer Online-Umgebung. Um aus einer Filterblase wieder herauszufinden, hilft es, eine Zeit lang mit Absicht nur mit anderen Themen zu interagieren. In extremen Fällen ist es ratsam, ein neues Konto anzulegen. 

„Skinny Girl“-Challenge

Unter dem Hashtag #belfie setzt man das eigene Hinterteil in Szene und mit #gymselfies posiert man sportlich bis spärlich bekleidet vor dem Spiegel im Fitnessstudio. Das Thema Körperbild ist in Sozialen Netzwerken sehr präsent und wird durch Challenges immer wieder neu befeuert. Das kann für manche NutzerInnen Auslöser sein, um den dünnsten Körper wetteifern. Unter dem Hashtag #ed , für „eating disorder“ (engl. für „Essstörung“), oder #edrecovery nehmen Mädchen auf TikTok an der „Skinny Girl“-Challenge teil. In den kurzen Video-Clips des sozialen Netzwerks stellen sie ihren dünnen Körper zur Schau – Taille, Handgelenk, Waden. Um die dünnsten Oberschenkel und die möglichst größte Oberschenkellücke, einen sogenannten „Thighgap“ bemühen sich ebenfalls viele junge NutzerInnen in den Sozialen Netzwerken. Ein besonderes Risiko bergen solche Trends, da sie auf TikTok auch besonders junge Mädchen erreichen und ihnen so schon in jungem Alter ein gefährliches Körperbild vermitteln.

Gegenbewegung: Body Positivity

Unter dem Begriff „Body Positivity“, zu Deutsch also „positives Körpergefühl“, beginnt sich eine Gegenbewegung in den Medien zu entwickeln. Auf Instagram zeigen sich ganz normale UserInnen, aber auch Instagram-Berühmtheiten, natürlich, ungeschminkt und ohne Bearbeitung auf ihren Bildern. Es wird versucht, ein neues Verhältnis zum eigenen Körper darzustellen, das sich gegen Vergleiche und Perfektionismus positioniert. Hashtags wie  #nomakeup, #teambodylove oder #fürmehrrealitätaufinstagram zeigen Fotos, die mit genau dieser Intention ins Netz gestellt wurden. Solche Bilder können Kindern und Jugendlichen helfen, ein realistisches Körperbild zu entwickeln und ihren eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er ist – solange die Body Positivity nicht ebenfalls an die Erfüllung sonstiger Schönheitsideale gekoppelt ist.