Kein Ass im Ärmel: Gefahren von Online-Glücksspiel für Kinder – 5 Fragen an Dr. Anke Quack

Interview

Blinkende Lichter, klingelnde Töne, zeichentrickartige Figuren und jede Menge Adrenalin: Auf viele Kinder und Jugendliche wirken Glücksspiel-Angebote im ersten Moment reizvoll. Im Internet oder in Apps können sie auf Casino-Plattformen oder glücksspielähnliche Games stoßen. Wir haben mit Dr. Anke Quack darüber gesprochen, was die Angebote so risikoreich macht und durch welche Mechanismen sich Spielverhalten zu einer Sucht entwickeln kann.

Grafik mit dem Portrait von Dr. Anke Quack und ihrem Beruf als Leiterin des Kompetenzzentrums für Spielerschutz & Prävention an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin der Universitätsmedizin Mainz
Bild: T.W.Klein/Grafik: SCHAU HIN!

Glücksspiel ist in Deutschland für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren verboten. Wie kann es passieren, dass sie in Online-Spielen und Apps trotzdem online an solche Angebote geraten?

Trotz eines überwiegenden Verbots boomen Online-Glücksspiele seit Jahren, ohne verbindliche Regeln für den Jugend- und SpielerInnenschutz. Für Heranwachsende ist es durchaus möglich, mit ein paar Klicks und falschen Altersangaben an Glücksspielen gegen Echtgeld teilzunehmen. Der neue Glücksspielstaatsvertrag 2021 legalisiert Online-Glücksspiele und verpflichtet Unternehmen mit einer Veranstaltungserlaubnis für Online-Glücksspiele in Deutschland, den Ausschluss Minderjähriger von der Glücksspielteilnahme zu gewährleisten. Vorausgesetzt es gelingt, illegale Angebote künftig konsequent zu unterbinden, sollte die Glücksspielteilnahme Minderjähriger in Online-Casinos & Co. bald der Vergangenheit angehören.

Anders verhält es sich bei Online-Spielen und Apps, die glücksspielähnliche Elemente beinhalten und damit Glücksspiele simulieren. In Deutschland gilt als Glücksspiel, wenn Geld eingesetzt und gewonnen werden kann sowie wenn die Entscheidung über Gewinn oder Verlust dem Zufall überlassen ist. Viele dieser glücksspielähnlichen Elemente in Online-Spielen und -apps erfüllen nicht alle Kriterien, besonders nicht den des Geldgewinns, so dass sie offiziell nicht als Glücksspiel gelten. Doch auch die glücksspielähnlichen Mechanismen stellen ein erhöhtes Suchtpotential insbesondere für die zumeist jugendlichen SpielerInnen dar.

Das neue Jugendschutzgesetz in Deutschland sieht die Kennzeichnung glücksspielähnlicher Mechanismen in Video- und Handy-Games sowie eine geänderte Alterseinstufung vor. Eltern bieten diese Hinweise eine verlässliche Orientierungshilfe. Wenn Spielehersteller Einstellungsmöglichkeiten vorsehen, z. B. In-App-Käufe zu blockieren, sollten diese je nach Alter der Kinder genutzt werden. Eltern sollten zudem frühzeitig am konkreten Beispiel mit ihren Kindern über das Sogpotential, die möglichen Suchtgefahren und die versteckten Kostenfallen solcher Angebote sprechen. Am besten bevor Kinder- und Jugendliche beginnen, Spiele mit glücksspielähnlichen Elementen zu spielen.

 

Gewinne sind eine Form von Belohnungen. Welche Belohnungen kann es noch in Computerspielen geben?

Die Belohnungsarten in Handy-, Video- und Computerspielen sind vielfältig. Dazu zählen virtuelle Gegenstände wie Waffen, Skins (= Anpassungen des Aussehens der Spielfigur) oder Fähigkeiten, die die Leistungsfähigkeit einer Spielfigur erhöhen, aber auch Münzen oder Juwelen, um im Spiel schneller voranzukommen oder Spielwelten auszuschmücken. Studien weisen darauf hin: Je mehr Belohnungsarten in einem Spiel eingebaut sind, desto höher ist das Suchtpotential eines Spiels. Der Gewinn virtueller Gegenstände wird zudem mit visuellen und akustischen Signalen untermalt, die das positive Gefühlserlebnis weiter steigern.

Handy-Games und Videospiele „belohnen“ SpielerInnen mit virtuellen Gegenständen, wenn sie Aufgaben gemeistert oder das nächste Spiel-Level erreicht haben. In einigen Spielen können Münzen oder zusätzliche Spielrunden auch an virtuellen Spieleautomaten gewonnen werden. In den meisten Fällen kann man die „Belohnungen“ auch mit Echtgeld erkaufen, anstatt sie sich mühevoll und langsam zu erspielen. In-Game- oder In-App-Käufe versprechen schnellere und bessere Spielerfolge und werben zudem aggressiv mit vermeintlich attraktiven Angeboten. Das Geschäftsmodell „Pay-to-Win“ – bezahlen um zu gewinnen – ist längst etabliert. Für Jugendliche kann das schnell zur Kostenfalle werden.

Kostenpflichtige Beutekisten (engl.: Lootboxen) stehen seit Jahren in der Kritik. Mittels In-App-Käufe können SpielerInnen Beutekisten für Echtgeld zu erwerben. Allerdings ist es reine Glückssache, welche virtuellen Gegenstände tatsächlich in der gekauften Beutekiste enthalten sind. In der Hoffnung, einen bestimmten ersehnten Ausrüstungsgegenstand oder eine seltene Spielfigur irgendwann zu erhalten, können diese Käufe rasch außer Kontrolle geraten.

 

Welche Risiken bestehen für Heranwachsende, wenn sie in Spielen glücksspielähnlichen Mechanismen ausgesetzt sind?

Am Anfang eines Spiels erhalten die SpielerInnen regelmäßige Belohnungen in Form virtueller Gegenstände. Das Gehirn lernt, dass der „Gewinn“ der begehrten Gegenstände mit positiven Gefühlzuständen verbunden ist. Im Spielverlauf lassen diese Belohnungen gezielt nach. Um die gewünschten Gegenstände, die Belohnungen und damit verknüpften positiven Gefühlszustände weiterhin zu erhalten, muss immer mehr Zeit und Geld investiert werden. Der Gewinn ist aber – ähnlich wie bei Glücksspielen – reine Glückssache. Darüber hinaus haben wir es mit Spielen zu tun, die weitere glücksspielähnliche Merkmale beinhalten, die das Spielverhalten verstärken können und damit die Entstehung eines suchartigen Verhaltens fördern: Dazu zählen die ständige Verfügbarkeit von Videospielen und Handy-Games, die Verschleierung von investiertem Echtgeld durch Umwandlung in In-Game-Währungen. Heranwachsende lernen so die Mechanismen von Glücksspielen kennen und gewöhnen sich daran.

Gleichzeitig sind Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer Entwicklung noch nicht gefestigt und besonders gefährdet eine problematisches Spielverhalten zu entwickeln. Heranwachsende sind generell in der Pubertät mit elementaren Entwicklungsaufgaben konfrontiert, die manchmal belastend und überfordernd wirken können. Aus Untersuchungen wissen wir, dass SpielerInnen Online-Spiele häufig dysfunktional nutzen, um sich abzulenken, zu belohnen oder vor den Problemen der realen Welt zu flüchten. All das können wesentliche Kriterien bei der Entwicklung eines glücksspielsüchtigen Verhaltens sein.

 

Was bedeutet „intermittierende Verstärkung“ bei Belohnungssystemen in Videospielen oder Glücksspiel-Apps?

Im Gegensatz zu kontinuierlichen Belohnungen sind intermittierende Verstärker Belohnungen, die nur zeitweilig und vor allem zufällig erfolgen. Viele der Videospiele und Glücksspiel-Apps sind derart konzipiert. Um weiterhin das gewohnte Level an „Belohnungen“ zu erhalten und im Spiel voranzukommen fördern diese Mechanismen den Wechsel zu Pay-to-Win, d.h. die SpielerInnen bezahlen Geld um zu gewinnen. Eine Expertise für die Bundesregierung zu den „Suchtfördernden Faktoren von Computer- und Internetspielen“ kommt zu dem Ergebnis, dass Belohnungssysteme, die im Spielverlauf von einer kontinuierlichen zu intermittierenden Verstärkung wechseln, die Bindung an das Spiel erhöhen und die Entwicklung eines problematischen Spielverhaltens begünstigen können (Rumpf, 2017).

 

In den letzten Jahren wird immer wieder darüber berichtet, dass auf YouTube oder auf Twitch Glücksspiel-Streams auch minderjährige SpielerInnen anlocken. Sehen Sie Streaming-Plattformen als Risiko?

Die Antwort ist ein klares Ja. Verschiedene internationale Studien zur Wirkung von Glücksspielwerbung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen deuten darauf hin, dass Werbebotschaften für Glücksspiele glücksspielbezogene Erwartungen beeinflussen können (z. B. „Glücksspiele können reich machen“, „Gewinnen ist einfach“) und den Wunsch zu spielen steigern. Das ist sicher auch auf Handy-Apps und Videospiele übertragbar. Die Bewerbung von Glücksspielprodukten ist in Deutschland reguliert. Glücksspielwerbung darf sich nicht an Minderjährige und gesperrte SpielerInnen richten oder Gewinne versprechen. Aus SpielerInnen- und Jugendschutzperspektive ist das wichtig.

Derzeit ohne ausreichende Kontrollen sind Werbeaktivitäten auf YouTube, Twitch & Co. Der Markt für Videospiel- und Glücksspiel-Apps wird in Deutschland weiterwachsen. Dementsprechend werden auch die Werbeaktivitäten zunehmen. Im Mittelpunkt der Werbeaktivitäten stehen vor allem netzaffine, junge Leute. Auch die Aktivitäten von GlücksspielinfluencerInnen in den Sozialen Medien werden in den kommenden Jahren stark zunehmen. InfluencerInnen werden gezielt von der Industrie ausgewählt. Sie dienen als glaubwürdige Identifikations- und Kultfiguren, stellen Glücksspiele und glücksspielähnliche Produkte besonders positiv dar und beeinflussen so glücksspielbezogene Werte und Einstellungen junger Menschen. Finden InfluencerInnen ein bestimmtes Produkt gut, hat das häufig großen Einfluss auf die Fangemeinde. Hier gilt es Medienkompetenz zu vermitteln. Eltern sollten Heranwachsenden dabei helfen, versteckte Werbung auf YouTube, Twitch & Co. zu erkennen und kritisch zu hinterfragen. Ob in der Schule oder zu Hause: Wir müssen Kindern und Jugendlichen erklären, dass InfluencerInnen von der Industrie bezahlt werden und die gezeigten vermeintlichen Gewinne oder Gewinnversprechen überwiegend initiierte Geschichte sind und weniger echte Gewinne darstellen. 

Dr. rer. physiol. Anke Quack ist Leiterin des Kompetenzzentrum Spielerschutz & Prävention an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin der Universitätsmedizin Mainz. Betroffene können sich dort an eine Telefonberatung zur Glücksspielsucht wenden und mithilfe eines Selbsttestes ihr Spielverhalten testen.