Online-Challenges: Wie Eltern ihre Kinder schützen können

Kleine Mutproben und Wettbewerbe sind schon immer ein fester Bestandteil der Kindheit. In der heutigen digitalen Welt haben diese eine neue Dimension erreicht: Unter dem Begriff „Challenges“ finden sich in sozialen Netzwerken sowohl harmlose und unterhaltsame als auch risikoreiche und gefährliche Herausforderungen. Für Heranwachsende sind diese Challenges oft faszinierend und verlockend. SCHAU HIN! erklärt, was Eltern über die Social-Media-Trends wissen müssen und worauf sie achten können, um ihre Kinder vor potenziellen Gefahren zu schützen.

In einem Skatepark stehen mehrere Skater auf ihren Skateboards auf einer Rampe. Sie sind kurz vor der Abfahrt.
Oleg Ivanov/unsplash

Social-Media-Challenges finden in Netzwerken wie TikTok, Instagram oder YouTube statt. Das Grundprinzip ist einfach: Eine Aktion oder Aktivität wird gefilmt und online geteilt. Erreicht das Video große Aufmerksamkeit, versuchen andere, die Aktion nachzuahmen, und stellen ihre Version ebenfalls online. So entsteht ein Trend, zu dem über einen kurzen Zeitraum zahllose Videos gefilmt und hochgeladen werden. Die Herausforderung liegt für die Teilnehmenden darin, die Aufgabe genauso gut, besser oder auch ganz anders zu meistern als ihre VorgängerInnen und so durch viele Likes, Kommentare und das Teilen ihres Videos ebenfalls Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erhalten.

Einige verbreitete Trends sind zum Beispiel Tanz-Challenges, bei denen NutzerInnen einen bestimmten Tanz nachmachen, oder lustige Challenges, bei denen andere Personen um Lachen gebracht werden sollen, diese aber gleichzeitig um jeden Preis versuchen, nicht zu lachen. Challenges in sozialen Netzwerken können immer auch Risiken bergen. Wenn Kinder und Jugendliche zum Beispiel gefährliche Stunts oder Mutproben durchführen, können schwere körperliche Schäden die Folge sein und die Challenge kann sogar lebensbedrohlich sein. Ein weiteres Problem können Challenges sein, die Cybermobbing oder Belästigung fördern, indem sie NutzerInnen dazu ermutigen, andere zu verletzen oder zu beleidigen.

Der Reiz von Online-Challenges

Gerade bei Jugendlichen ist das Genre als Unterhaltung sehr beliebt: Es macht Spaß, anderen beim Absolvieren der Herausforderung zuzuschauen. Videos von Challenges werden geteilt, geliket und kommentiert. Nicht nur Stars, Medienpersönlichkeiten und InfluencerInnen nehmen daran teil, sondern auch Gleichaltrige, MitschülerInnen und FreundInnen. So sind Challenges auch im realen Leben schnell Gesprächsthema und stoßen auf Interesse. Vielen jungen NutzerInnen ist es wichtig, bei den neusten Internet-Trends mitreden zu können.

Viele Heranwachsende nehmen auch selbst an den Challenges teil. Letztlich sind Mutproben keine neuen Phänomene. Es geht darum, die eigenen Grenzen auszutesten. Etwa im Alter von zehn Jahren fangen Heranwachsende an, sich herauszufordern: Wie weit kann ich gehen mit welchen Folgen?

Gruppenprozesse unter Gleichaltrigen spielen dabei eine Rolle, dass sie selbst besonders herausfordernde Challenge meistern wollen. Wer dazugehören und Anerkennung erfahren möchte, muss unter Beweis stellen, wie angstfrei er/sie ist – dafür eignen sich Challenges in den Augen von Heranwachsenden gut. Für sie ist es ein Mittel, ihre Rolle in der Gruppe oder Klasse zu finden oder zu verfestigen. Für viele Kinder und Jugendliche ist das ein entwicklungspsychologischer Schritt beim Älterwerden.

Soziale Anerkennung messen Heranwachsende häufig an den Likes und Kommentaren auf ein Video. Die erhofften Reaktionen von anderen NutzerInnen sind der häufigste Grund für die Teilnahme an Challenges, hat eine Studie von TikTok von November 2021 gezeigt. Die Hälfte der Befragten Jugendlichen nannte sie sogar als einen der drei wichtigsten Gründe.

Und auch die Chance auf Bekanntheit und steigende FollowerInnenzahlen wirkt auf viele Heranwachsende verlockend. InfluencerInnen sind für sie Vorbilder und nicht wenige Jugendliche wünschen sich, diesen Berufsweg selbst einzuschlagen. Deswegen hoffen einige, dass ihr Social-Media-Profil mit einem geposteten Challenge-Video viral geht.

Risiken von Challenges

Je spektakulärer, riskanter oder lustiger die Herausforderung ist, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt das dazugehörige Video. Die Algorithmen, die darüber entscheiden, welche Inhalte in den Feeds der NutzerInnen angezeigt werden, reagieren auf die hohe Interaktionsrate und sorgen so dafür, dass solche Challenge-Videos häufiger angezeigt werden. Dies erhöht die Versuchung, selbst eine der riskanten Herausforderungen nachzumachen. Es ist wichtig, dass insbesondere junge NutzerInnen die möglichen Risiken sorgfältig abwägen, bevor sie sich an einer Challenge beteiligen.

  • Schädigendes Verhalten 
    Bei einigen waghalsigen Herausforderungen setzen Teilnehmende ihre Gesundheit aufs Spiel: Für das vermeintlich eindrucksvollste Video führen NutzerInnen zum Beispiel absichtlich eine Ohnmacht herbei oder schlucken Waschmittelkapseln. Über solche Challenges wird immer wieder berichtet – es handelt sich allerdings um einzelne Extremfälle. In der Regel erkennen junge NutzerInnen, dass solche Challenges nicht nachgeahmt werden sollten. Die Nutzungsstudie von TikTok zeigt, dass Heranwachsende Challenges meist nicht vollkommen unbefangen begegnen, sondern Risiken abwägen, bevor sie daran teilnehmen. Als Strategien schauen sie zum Beispiel Videos von NutzerInnen an, die bereits mitgemacht haben, lesen Kommentare unter den Clips und sprechen mit FreundInnen darüber. Dennoch benötigen viele Heranwachsende Orientierung dabei, was zu weit geht – oder wünschen sich diese sogar. Insgesamt sind sie für diese Art von Video empfänglicher sind als ältere NutzerInnen: Während der Entwicklung junger Menschen ist ihre Hemmschwelle herabgesetzt und ihr Risikoverhalten gesteigert.   
  • Grenzüberschreitung 
    Challenges, bei denen andere in Gefahr gebracht oder bloßgestellt werden oder fremdes Eigentum zerstört wird, sind problematisch – beispielsweise demütigende Streiche (engl.: „Pranks“). Eltern sollten ihren Kindern vermitteln, dass die Regeln eines guten Miteinanders online genau so gelten müssen wie offline und dass keine Grenzen Dritter für Videos überschritten werden dürfen. Das gilt auch für eigene Grenzen: Manche Challenges bestehen beispielsweise daraus, intime Details über sich selbst zu veröffentlichen oder etwas Peinliches in der Öffentlichkeit zu machen. Auch wenn dazu aufgerufen wird, sollten junge NutzerInnen nichts tun oder veröffentlichen, was sie nicht ohne die Aufforderung gepostet hätten.
  • Fremdnutzung 
    Veröffentlichte Challenge-Videos können Hasskommentare auf sich ziehen oder von anderen NutzerInnen für Cybermobbing genutzt werden. Selbst bei lustigen und harmlosen Challenges gilt es deshalb, vorher genau zu überlegen, ob das Video so veröffentlicht werden kann oder ob es im Nachhinein unangenehm sein könnte. Wenn ein Clip zum Beispiel eine große Reichweite erzielt hat, weitergeteilt oder gespeichert wurde, ist es nicht mehr möglich, das Video zu löschen. Wichtig ist deswegen, Privatsphäre- und Sicherheitseinstellungen zu aktivieren und zu vereinbaren, nur Bekannte als FollowerInnen zu akzeptieren. Denn im Zweifelsfall gibt ein Clip zu viele Einblicke oder verrät persönliche Informationen und kann Ansatzpunkt für ungewollte Kontaktaufnahme von Fremden sein. Auch der Videohintergrund kann Rückschlüsse auf den Aufenthaltsort eines Kindes zulassen. Eltern sollten außerdem mit ihrem Kind darüber reden, dass die Privatsphäre von anderen genauso schützenswert ist, wie die eigene. Deswegen sollten sie an Challenges, bei denen fremde Personen involviert sind, nicht teilnehmen. Wenn FreundInnen zu sehen sind, darf der Clip nicht ohne die Zustimmung der Abgebildeten hochgeladen werden.
  • Problematische Inhalte 
    Challenge-Videos werden häufig unreflektiert angeguckt und geteilt. Durch das bekannte Format wecken die Videos in erster Linie die Erwartung, unterhalten zu werden. Jungen MediennutzerInnen fällt es daher schwer zu durchschauen, wenn problematische Weltbilder hinter den Challenges verborgen sind. Körperbezogene Challenges können zweifelhafte Ideale vermitteln und zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen führen. Wenn bei Prank-Challenges bestimmte Personengruppen vorgeführt oder beleidigt werden, können dahinter diskriminierende Vorurteile stecken. Heranwachsende benötigen die Unterstützung ihrer Eltern, um solche Challenges zu durchschauen. Dabei kann besprochen werden: Problematische Inhalte sollten weder nachgeahmt noch weiterverbreitet werden.
    In manchen Fällen sind Challenges auch Teil einer Marketing-Kampagne eines Unternehmens und beinhalten bestimmte Produkte, die für die Challenge gekauft oder deren vermeintlichen Vorzüge in den Vordergrund gestellt werden sollen. Diese subtilen Formen von Werbung sind für Kinder nicht immer erkennbar. Hier hilft es, wenn Eltern ungewöhnlichen Kaufwünschen auf den Grund gehen und mit ihren Kindern Produktinszenierungen kritisch hinterfragen.

Chancen für Kinder und Jugendliche

Allerdings bringt der Hype um Challenges für Heranwachsende auch Chancen und positive Effekte mit sich: Wie Aufmerksamkeit mit Challenge-Videos auf soziale Themen gelenkt werden kann, zeigte die „Ice Bucket Challenge“, bei der vor einigen Jahren auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam gemacht wurde. Genau so finden sich immer wieder aktivistische Challenges, in denen es zum Beispiel um Umweltschutz geht. Jugendliche wollen sich mit zunehmendem Alter gesellschaftlich und politisch orientieren und eigene Positionen entwickeln, mit anderen diskutieren und auf gesellschaftliche Prozesse Einfluss nehmen. Durch die Teilnahme an Challenges möchten sie sich für Themen und Belange einsetzen, die ihnen wichtig sind. Die viralen Phänomene können für Kinder und Jugendliche eine Partizipationsmöglichkeit darstellen und nachhaltig über die digitale Welt hinaus wirken.

Nutzung durch Jüngere

Viele Eltern sind verwundert, wenn schon ihr Kindergarten- oder Grundschulkind die neuste virale Challenges nachspielt und scheinbar ganz genau weiß, was sich in sozialen Netzwerken abspielt. Sie fragen sich, wie bereits die Jüngeren etwas davon mitbekommen, ohne jedoch in der Familie Zugang zu diesen Angeboten zu haben. Heranwachsende sind meist sehr sensibel für das, was bei Älteren und vor allem den Eltern beliebt ist. Über ältere Geschwister, MitschülerInnen oder Kinder aus der Nachbarschaft bekommen auch Jüngere mit, worüber im Netz geredet wird. Diese feinen Antennen sind nicht zu unterschätzen. Und auch in ihrem weiteren Umfeld ist jeder neue Trend schnell präsent: Was viral geht, landet zum Beispiel in Form von Shirts oder Gimmicks in den Geschäften – das macht neugierig. Was Eltern auch bedenken sollten: Die Medienwelt ist sehr stark verknüpft. Trends aus sozialen Netzwerken schwappen schnell auf andere Plattformen und Formate über, sodass Kinder und Jugendliche in ihren digitalen Räumen damit in Berührung kommen: in interaktiven Online-Games, bei Let’s-PlayerInnen, in YouTube-Videos oder in Kinderforen werden Social-Media-Challenges aufgegriffen und besprochen. Umso wichtiger ist es, Jüngere bei der Nutzung zu begleiten und gute Angebote auszuwählen.

Tipps für Eltern zu Social-Media-Challenges

An Challenges und Trends kommen Kinder und Jugendliche in ihrem Medienalltag nicht vorbei, spätestens wenn sie soziale Netzwerke nutzen. Daher ist es wichtig, dass Eltern ihnen einen guten Umgang mit diesen Phänomenen vermitteln und ihr Urteilsvermögen stärken. Generelle Ablehnung verbaut von vornherein Diskussionsgrundlagen. Besser ist eine offene und verständnisvolle Haltung für die Medienvorlieben der Heranwachsenden sowie eine genaue Abwägung, welche Trends welche Risiken bergen. So kommen Erwachsene und Kinder ins Gespräch.

Was Eltern tun können:

  • Interesse zeigen 
    Wichtig ist, dass Eltern mit ihrem Kind im Gespräch darüber bleiben, welche Inhalte es in seiner Online-Welt sieht, wie es diese wahrnimmt und bewertet. Am besten zeigen sie dabei, dass sie Interessen und Bedürfnisse ernst nehmen. So vermitteln sie den jungen MediennutzerInnen auch, dass sie eine verlässliche Ansprechperson sind, wenn Kinder und Jugendliche Probleme oder Sorgen haben.
  • Zum Hinterfragen anregen 
    Nicht nur die Inhalte, die Kinder und Jugendliche in Trends und Challenges konsumieren, können in gemeinsamen Gesprächen eingeordnet werden: Basieren sie auf zweifelhaften Schönheitsidealen, vermitteln sie Rollenbilder, besteht Verletzungsgefahr? Auch lohnt es sich, die Gründe zu hinterfragen, warum NutzerInnen überhaupt an Challenges teilnehmen. So unterstützen Eltern ihr Kind dabei, Medieninhalte kritisch zu bewerten, geeignete Angebote zu erkennen und Verantwortung für das eigene Handeln in und mit digitalen Medien zu übernehmen.
  • Kinder stark machen
    Sollten Eltern den Eindruck haben, dass ihr Kind Druck empfindet, bei allen Trends mitzugehen und sich auf eine bestimmte Art im Netz zu inszenieren, können Eltern ihre Kinder bestärken, anders zu sein: Es muss nicht überall mitziehen. Gemeinsames Reflektieren mit dem Kind hilft ihm zu verstehen, dass vor allem innere Werte bei zwischenmenschlichen Beziehungen zählen, nicht bloß die Anerkennung über soziale Netzwerke. Manche NutzerInnen empfinden es als Entlastung, wenn die Sichtbarkeit von Likes bei ihnen selbst oder generell bei allen Beiträgen ausgeschaltet wird.    
  • Orientierung geben 
    Auch wenn Eltern nicht jeden neuen Trend verstehen, sind sie dennoch ein wichtiger Kompass für die Werte- und Moralvorstellungen ihres Kindes. Auch jenseits der Mediennutzung lohnt es sich, über wichtige Themen des Großwerdens zu sprechen wie Freundschaft, Zugehörigkeit, Anerkennung, Gruppenzwang und Druck, Wertschätzung und ein gutes Miteinander.
  • Regeln vereinbaren
    Wenn Kinder an Challenges teilnehmen wollen, muss darauf geachtet werden, dass Sicherheits- und Privatsphäreeinstellungen aktiviert sind. Es muss klar verabredet sein, welchem Publikum die Videos zugänglich gemacht werden. Genauso wichtig sind Regeln dazu, welche Art von Challenges okay sind und welche nicht. Gefährliche Herausforderungen, peinliche Aktionen oder diskriminierende Streiche dürfen nicht nachgeahmt werden.
  • Auf dem neusten Stand bleiben
    Im Austausch mit anderen Eltern oder auf Ratgeberseiten können Eltern sich über Trends der Medienwelt informieren, die potenziell problematisch werden können. So können sie entsprechende Signale und Zeichen bei ihrem Nachwuchs sensibel wahrnehmen und im Zweifelsfall eingreifen oder Hilfe holen, wenn sie den Eindruck haben, dass diese Inhalte im Freund*innenkreis ihres Kindes eine größere Rolle spielen.
  • Ruhe bewahren 
    Auch wenn in den Medien häufiger vor gefährlichen Challenges gewarnt wird, besteht nicht immer ein Grund zu großer Sorge. Die wenigsten Challenges sind gewaltvoll oder stellen ein Risiko für die eigene Gesundheit dar. Unter Umständen wird erst durch die Berichterstattung ein Trend mit Nachahmungspotenzial aus der Herausforderung. Solche Medienberichte können trotzdem ein Anlass sein, mit dem eigenen Kind über Regeln und Grenzen zu sprechen – aber ohne in Panik zu geraten.